HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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In Omsk "kein einziger Brief"; habs die Tage in einem noch nicht veröffentlichten Werk gelesen :-) Quelle: Ich meine, Fjodor beklagt dies im ersten Brief, den er aus Semipatalinsk schreibt.
Darf man Michail überhaupt noch seinen Vertrauten nennen?
Ich meine ja, insoweit, dass er immerhin die Adresse ist, an der Fjodor solchen Frust (auch über Vernachlässigung) überhaupt loswerden kann, wo er sich etwas einzuklagen traut.
Ein Manko von Fjodor ist sicher, dass er sich selbst seiner Freunde wohl vor allem dann erinnert, wenn er etwas braucht (z.B. Wrangel). Die natürliche Beziehungspflege lag ihm einfach nicht. Ich wette, er war ein Geburtstagsvergesser.
Dabei glaube ich nicht, dass er die Leute ausnutzen wollte - er hätte oder hat für jeden sicher nach seinen Möglichkeiten das gleiche getan was er von ihnen erwartet. Ihm fehlte es einfach an Sozialkompetenz (und das wußte er auch).
"In Omsk "kein einziger Brief"; habs die Tage in einem noch nicht veröffentlichten Werk gelesen :-)"
Danke und ebenso ein ;-)
"Darf man Michail überhaupt noch seinen Vertrauten nennen?"
Nunja, hängt wohl viel an der Interpretation des Wortes "Vertrauter". Generell denke ich ja, denn Fjodor hat sich ihm anvertraut. Michail hat keine Gegenwehr gezeigt, aber eben vermutlich auch kein ebenbürtiges Gebahren gegenüber Fjodor. Michail hat halt eine rechte starke Zurückhaltung geübt - keine Ablehnung. Die gemeinsame Kindheit (zu den anderen Geschwistern bestanden keine ernsten Bindungen)hat sie sicherlich eng verbunden. Gab es doch kaum Außenkontakte für die Kinder. So verbunden müssen sie den Tod von Vater und Mutter verwinden. Zu wem hätte man dann näher stehen sollen, als eben zueinander. Das ganze aich noch vor dem Hintergrund romantisch/depressiver Motivationslage, befeuert mit pupertärer "Unaufgeräumt". Sie waren Brüder im Geiste und Erleben. Nicht aus einer Entscheidung, sondern aus den Umständen heraus.
Und dann haben sich die äußeren Umstände verändert, blieben nicht identisch, es entwickleten sich Einflüsse durch eine unabgeschottete Welt. Das natürlichste der Welt geschah, jeder begann zusehends ein Leben eigener Prägung. Das alte verband, dazu das Faktische der Verwandtschaft. Neues aber verband sie wenig / nicht viel - jedenfalls nicht mehr maßgebend ähnlich. Michail, der "Vernünftige" kam seinen moralischen Pflichten gegenüber seinem Bruder nach, zögerlich. Dostojewski, sowieso in der Regel verzweifelt und isoliert, liebt das was er hat - seinen Bruder - denn er hat nichts anderes zum lieben.
Fjodor vertraute nicht unbedingt seinem Bruder Michail, aber er vertraute auf ihn. Er hatte keine Wahl.
Vertrauen im Sinne von blindem Vertrauen oder sich eines sich völlig aufeinder Verlassens, scheint es mir nicht lange gewesen zu sein. Spätestens mit der Heirat Michails 1841 trennten sich ihre Gemeinsamkeiten bereits zusehends. Vertrauen hin oder her. Innig ist vermutlich nicht das treffendste adjektiv in der Beschreibung der Beziehung der beiden zueinander.
"Ein Manko von Fjodor ist sicher, dass er sich selbst seiner Freunde wohl vor allem dann erinnert, wenn er etwas braucht (z.B. Wrangel)"
Durchaus! Maijkow und Dostojewskis Nichte waren während seiner Europazeit, sehr stark frequentierte Personen durch Dostojewski (wieder vorrangig einseitig)
"Dabei glaube ich nicht, dass er die Leute ausnutzen wollte"
Oh ja. Ich schreibe dem Grieskram ja einiges Unangenehmes zu, aber diese Annahme hege ich ebenso - zu 99%
"Ihm fehlte es einfach an Sozialkompetenz (und das wußte er auch)"
In seinen Briefen macht er sich nicht selten runter, schätzt sich gut ein und stellt sich zwei Sätze weiter wieder ein glänzendes Zeugnis aus . . . Dostojewski eben ;-)
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By the way
Im Zuge der "Michail-Sichtung" habe ich in einer alten Romanbiographie (Bregowa / Verschwörung in Petersburg) geblättert. Habe ich mal vor Ewigkeiten gelesen und bin heute erst dabei über eine deutsche Fassung des Spottgedichtes gestolpert. Zum Zeitpunkt des Lesens konnte ich es vermutlich überhaupt nicht einordnen. Und es ist die bisher flüssigste Übersetzung von denen, die ich bisher kenne.
später:
Habe jetzt 4 weitere Belletristik-Biographien durchstriffen; zumindest bis Ende Semipalatinsk. Dostojewskis Bruder Michail findet dort nirgends statt, findet maximal Erwähnung.
was ganz anderes:
Wieso stinken die Nachfahren Tolstois vor Geld und die Dostojewskis schlagen sich so durch und besitzen nichts. Ich meint, ich hätt es mal gehört . . . Klar die Unterschiede waren auch damals Welten. Aber mit den Rechten an den Werken gab es glaube einen Unterschied. . .
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RE: Dostojewski 2
in Die schöne Welt der Bücher 08.12.2012 14:41von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Zitat von Jatman1 im Beitrag #93
was ganz anderes:
Wieso stinken die Nachfahren Tolstois vor Geld und die Dostojewskis schlagen sich so durch und besitzen nichts. Ich meint, ich hätt es mal gehört . . . Klar die Unterschiede waren auch damals Welten. Aber mit den Rechten an den Werken gab es glaube einen Unterschied. . .
Ja, in einer von mir gesehenen Dokumentation wurde ein Nachfahre Dostojewskis interviewt. Er war Busfahrer und klagte über die schlechten Verhältnisse.
Ich denke, der Unterschied liegt hauptsächlich darin, dass Tolstois Familie besser situiert war und der erlangte Reichtum nicht nur aus dem literarischen Werk-Verdienst erfolgte. Die Güter wurden verteilt, das Werk, so meine ich mich zu erinnern, wurde sogar, durch Tschertkow veranlasst, zum Allgemeingut? Auf das Werk Tolstois wurde ja auch eine regelrechte neue Religion gegründet, während Dostojewskis Werk einen ganzen anderen Stellenwert einnimmt oder zumindest einnahm.
Art & Vibration
Ja da wird wohl eine Ursache drin liegen. Tolstoi war reich - unabhängig von seinem literarischen Schaffen.
Wenn aber mal die Rechte zu Allgemeingut zu Sowjetzeiten erklärt worden wären, dann müsste sich doch aber dieser Zustand in zwischen wieder in einen üblichen "Rechte-Zustand" geändert haben.
Ist eigentlich seltsam, dass man da so spantan nicht Konkretes weiß. Von der Sache her, könnte ich dann auch eine Dostojewski-Edition herausgeben!? Mal abgesehen von der Sinnhaftigkeit.
Hmm . . . .
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Habe darüber auch im Spiegel gelesen und dachte spontan - es müssen die Dostojewski-Gene sein.
Die Urheberrechtslage in Russland kenn ich nicht, aber heute kann wohl sicher keiner mehr irgendwelche Tantiemen über den Ururgroßvater beziehen. Heute werden bei uns Texte 70 Jahre nach dem Tod gemeinfrei. Früher waren die Fristen kürzer.
Neue Rechte entstehen natürlich wieder an Bearbeitungen/Übersetzungen usw.
Zitat von fedja im Beitrag #96
Die Urheberrechtslage in Russland kenn ich nicht, aber heute kann wohl sicher keiner mehr irgendwelche Tantiemen über den Ururgroßvater beziehen. Heute werden bei uns Texte 70 Jahre nach dem Tod gemeinfrei. Früher waren die Fristen kürzer.
Neue Rechte entstehen natürlich wieder an Bearbeitungen/Übersetzungen usw.
Ich weiß nur, dass Strawinsky, nachdem er aus Russland geflohen war, für seine Russischen Balette neue Fassungen komponieren musste, damit er diese im Westen aufführen durfte, denn die Rechte der Urfassungen lagen/liegen beim russischen Verlag.
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
In Sachen Oper, habe ich mitbekommen, dass da wohl heute noch Nachfahren sich per Gericht bei Dingen durchklagen, die Ihnen nicht passen und deswegen manche Stücke nicht mehr zur Aufführung kämen. Scheint ein schwieriges Gebiet zu sein.
Die Brief-Bände in denen ich den verzweifelten Brief Fjodors an Bruder Michail fand, habe ich weiter durchstöbert und nochmals Bingo. Es sind drei Briefe an Karepin (der bestellte Amtsvormund nach dem Tod des Vaters, Verwalter des Erbes und Ehemann einer Schwester Dostojewskis) darin enthalten. Da legste aber die Ohren an. Dostojewski macht ihn völlig zur Schnecke. Gnadenlos. Schlag auf Schlag. Kurze knackige prägnante Sätze. So wie er Karepin völlig maßlos und völlig überzogen, rücksichtslos, anmaßend . . . angreift, kann Dostostjewski noch zufrieden sein, überhaupt Geld von ihm bekommen zu haben. Bei den Briefen habe ich echt große Augen gemacht Kein Zetern, kein Wehklagen, kein Betteln. Ausschließlich Attacke. Ein Vergnügen zum Lesen - aber den, doch auch den Allerniedrigsten, Achtung entgegenbringenden Menschenfreund Dostojewski?! Kannste knicken. So einen könnten sie heute bei General Motors gebrauchen, der den Text in die Feder diktiert, um Opel eiskalt abzuservieren. Falls noch jemand, die Überlegung / Erklärung anbringen wollte, Dostojewski wäre verzeweifelt gewesen, dem kann ich sagen: trifft hier nicht zu.
Ihr seht schon, ich schreibe soviel - ich bin beeindruckt und erfreut, mal solch vor Kraft strotzende Briefe zu lesen.
Die Bände haben bestimmt noch weitere, zumindest für mich, Überraschungen zu bieten.
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RE: Dostojewski 2
in Die schöne Welt der Bücher 11.12.2012 12:23von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Mich wundert, warum in der Piper-Ausgabe im Vorwort steht, alle bisher gefundenen Briefe Dostojewskis werden in diesem Werk vereint. Wieso offenbaren die zwei Bände der Insel-Ausgabe dann noch unbekannte Briefe?
Zitat von Jatman
Es sind drei Briefe an Karepin (der bestellte Amtsvormund nach dem Tod des Vaters, Verwalter des Erbes und Ehemann einer Schwester Dostojewskis) darin enthalten. Da legste aber die Ohren an. Dostojewski macht ihn völlig zur Schnecke. Gnadenlos. Schlag auf Schlag. Kurze knackige prägnante Sätze. So wie er Karepin völlig maßlos und völlig überzogen, rücksichtslos, anmaßend . . . angreift, kann Dostostjewski noch zufrieden sein, überhaupt Geld von ihm bekommen zu haben.
Ich finde nicht, dass man Dostojewski vorwerfen sollte, auch mal ruppig oder gnadenlos zu sein, er hatte sicherlich seine Gründe. Auch offenbart das für mich nicht gerade einen neuen Charakterzug. In einigen Briefen kann man von einer unterschwelligen, doch ziemlich offensichtlichen Drohung sprechen, wenn Dostojewski nach Geld fragte, besser gesagt, es nahezu verlangte, übrigens Geld , das ihm vielleicht irgendwo dann doch zustand, wenn er etwas geschrieben hatte oder abliefern wollte. (Hier könnte man dann wieder mit Turgenjew vergleichen, der nicht nur viel mehr Geld für sein Werk erhielt, sondern es durch seine Umstände auch wesentlich leichter hatte.)
Höflichkeit ist manchmal auch Scheinheiligkeit, da ist ein klares Wort besser. Und nicht immer höflich zu sein, sagt nichts über den Menschen oder die tatsächliche Menschenfreundlichkeit Dostojewskis aus, dem Mitgefühl und Sinnsuche ja deshalb nicht weniger innewohnten.
Inwiefern sind die Angriffe denn rücksichtslos und überzogen? Du kennst bestimmt Hintergründe, die mir noch unbekannt sind. Weißt du über Dostojewskis Sympathien Bescheid? Hatte Dostojewski mit den Erbschaftsbedingungen nicht stark zu kämpfen? Hat ihn die Familie nicht mehrfach abgezockt? Wurde er von seinen Verwandten nicht immer wieder ausgenommen, weil er das Geld wahllos aus der Hand gab, wenn er es denn einmal hatte?
Verzweiflung braucht es nicht, um seine Forderungen oder seine Vorwürfe an jemanden zu vermitteln, dessen Absichten etwas fragwürdig sind. Finde ich zumindest.
Art & Vibration
„Mich wundert, warum in der Piper-Ausgabe im Vorwort steht, alle bisher gefundenen Briefe Dostojewskis werden in diesem Werk vereint. Wieso offenbaren die zwei Bände der Insel-Ausgabe dann noch unbekannte Briefe?“
Das kann nur ein Irrtum sein. Es gibt weitaus mehr Briefe als die bisher in Deutsch veröffentlichten. Zudem ist in vielen Ausgaben ist ja auch die Person benannt, die die Auswahl getroffen hat.
Mir ist keine Ausgabe bekannt, in der alle existierenden Briefe in Deutsch veröffentlicht sind.
Wenn Du die Piper-Ausgabe von 1966 Hrsg. Friedrich Hitzer meinst – da findest Du zum Beispiel auf Seite 515 im Nachwort, gar einen speziell ausgeschriebenen Text „Zur Auswahl der Briefe“. Dort erfährt man auf vollen 6 Seiten, vieles darüber wann, wo, wieviel . . etc. (wenn Du mehr wissen möchstest, sag Bescheid.)
Aber auch die anderen Briefbände, enthalen nicht ausschließlich identisch ausgewählte Briefe. Nur in dem Wissen habe ich mir ja die zwei Insel-Bände gekauft.
„Ich finde nicht, dass man Dostojewski vorwerfen sollte, auch mal ruppig oder gnadenlos zu sein, er hatte sicherlich seine Gründe. „
Sollte auch kein Vorwurf sein – lediglich Erstaunen.
"Inwiefern sind die Angriffe denn rücksichtslos und überzogen? Du kennst bestimmt Hintergründe, die mir noch unbekannt sind. Weißt du über Dostojewskis Sympathien Bescheid?"
Er konnte Karepin bereits nicht leiden, als der seine Schwester geheiratet hatte. Und nun hatte genau der die Vermögenssorge. Viel Geld war nicht da. So wollte es Karepin halt einigermaßen einteilen. Dostojewski hätte damit gut über die Runden kommen können. Aber er hat es ja im Sekundentakt vernichtet.
In Bezug auf Karepin, ist Dostojewski nicht nur wütend, sondern fordernd, klugscheißend, beleidigend, besserwisserisch (da lässt Dostojewski selbst den Fatzke von Stiefsohn Pascha alt aussehen.)
"Hatte Dostojewski mit den Erbschaftsbedingungen nicht stark zu kämpfen?"
Er hatte noch eine reiche Tante (richtig reich). Die hat er auch immer angebettelt. So hat er zum Beispiel mal 1000 Rubel erhalten und hat sie in nicht mal 24 Stunden auf den Kopf gehauen. Das hat die Tante nicht begeistert und ließ sie auch achtsamer werden. Dostojewski fordert aber immer und immer wieder Geld. Dann kommen wir zur Familie > denen hat das auch nicht gefallen. (Die reiche Tante, auf deren Tod so viele warten, ist nicht von ungefäher ;-)
„Hat ihn die Familie nicht mehrfach abgezockt? Wurde er von seinen Verwandten nicht immer wieder ausgenommen, weil er das Geld wahllos aus der Hand gab, wenn er es denn einmal hatte?“
Ausgenommen trifft es nicht ganz. Sie alle aber traten maßlos fordernd gegen Dostojewski auf. Da konnte er sich nicht ausreichend durchsetzen. Aber er hat ja auch nie ernste Summen besessen.
Sehr engagiert im Nerven und Vorwerfen war Michaels Ehefrau. Selbst für die Ex-Geliebte seines Bruders Michael und deren beider Kind löhnte er noch nach dessen Tod.
„Verzweiflung braucht es nicht, um seine Forderungen oder seine Vorwürfe an jemanden zu vermitteln, dessen Absichten etwas fragwürdig sind. Finde ich zumindest.“
Hier sehe ich den Teufel im Detail liegen. Ich begreife das Verhalten Karepins für nicht angreifbar. Er war ja sogar gelegentlich etwas nachgebend gegenüber Dostojewski. Doch für den gab es immer nur Haben! Und das bitte sofort. Karepin war finanzieller Schutz und Korrektiv für Dostojewski. Mit Dostojewskis Volljährigkeit, war der (zumindest finanziell) kein Thema mehr. Und um jenen Karepin geht es in den Briefen, nicht all die anderen, die erst später in Erscheinung traten.
Irgendjemand betitelte er auch mehrfach als die Moskauer Schweine, wegen ihrer Zurückhaltung in Sachen Geld-Verschenken. Es war seine reiche Tante und ihr Mann. Die betrachtete er lediglich als Geldgeber. In einem Brief vom 09. April 1864 an seinen Bruder, gibt er Seitenweise "Anregungen" an seinen Bruder weiter, wie man die Moskauer Schweine strategisch um Geld angehen kann.
Wenn Geldwünschen nicht in seinem Sinne entsprochen wurde, wurde Dostojewski eigentlich immer recht schnell beleidigend, nicht nur in seinen jungen Jahren.
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Im September 1844 hat Dostojewski seinen Bruder Michail dreist z.B. für Folgendes vereinnahmt:
„In meinem letzten Brief an meinen Bruder, habe ich ihn darum gebeten, er möge vor seiner Familie für mich bürgen, dass ich nach Erhalt einer gewissen Summe in keiner Weise die Absprache breche (…) und dass mein Bruder im Falle künftiger Forderungen von mir eintritt oder schließlich im Falle eines Wortbruches meinerseits mit seinem Anteil für mich aufkommt. Ich bin fest davon überzeugt, dass mein Bruder meine Bitte nachgekommen ist.“
In einem Brief an P. A. Karepin
Ich nenne das rücksichtslos. So bringt er seinen Bruder zeitlebens ins „moralische Schwimmen“. Da braucht man sich nicht wundern, wenn Michail während der Verbannung sich etwas von seinem Bruer erholt hat (sicherlich mit schlechtem Gewissen). Klingt brutal - könnte aber durchaus so gewesen sein.
Vor dem Hintergrund, wie Fjodor seinen Bruder Michail behandelt hat, ist es vielleicht nicht nur der vermeintliche Anstand / das Bild nach außen, sondern zu nicht geringen Teilen auch das schlechte Gewissen, dass ihn hat die Verantwortung für Michails 25.000 Rubel Schulden übernehmen lassen.
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Vom Charakter her war Dostojewski ja durchaus aufbrausend und unbeherrscht; da mag schon mal was relativ ungefiltert bzw ungebremst in einen Brief eingeflossen sein.
Karepin verkörperte für D. vermutlich die "bürgerliche Krämerseele" und genoss von daher von Anfang an wenig Respekt. Solche Leute sind auch in seinen Erzählungen immer wieder Zielscheiben beißender Kritik.
Im Naturell D. liegt es, maßlos und auch mal völlig ungerecht sein zu können. Auf der anderen Seite hat er sich konsequenterweise selbst wiederum maßlos ausnutzen lassen.
"Auf der anderen Seite hat er sich konsequenterweise selbst wiederum maßlos ausnutzen lassen."
Das ist wohl wahr. Die Formulierung "konsequenter Weise" ist durchaus treffend, wenn auch zumindest offen bleibt, in wie weit D. jeweils bewußt agiert hat.
Aber auch hier sind es wieder halt die zwei Seiten der Medallie, die Dostojewski in der Wertschätzung retten. Nie ist ihm nur ein Extrem zuzuschreiben.
Wie kann man eigentlich so leben?
Bei meinen Gedanken, geht es nicht darum zu sagen: Seht! So einer ist das, der Dostojewski!
Mir liegt halt "gegen den Strom". Begeisterte und hochlobende Ausführungen gibt es zu Hauf. Doch das Besondere an Dostojewski sind ja sein zwei leben. Sein zweiter Vorname lautet Goljadkin. Um so erstaunlicher, dass es Dostojewski bereits in diesem seinem zweiten Werk wusste, ohne dass es ihm bewusst war. Dies allenthalben "Zweischneidige" macht den Dostojewski ja so unterhaltsam.
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"Bei meinen Gedanken, geht es nicht darum zu sagen: Seht! So einer ist das, der Dostojewski!
Mir liegt halt "gegen den Strom". Begeisterte und hochlobende Ausführungen gibt es zu Hauf."
Ich glaube, solange man es nötig hat, Dostojewski zur Ikone zu verklären, um ihn loben und verehren zu können, schätzt man ihn als Mensch, Person und Schriftsteller gar nicht wirklich. Mir ist er im Grunde erst in all seiner Verwirrtheit und mit seinen Selbsttäuschungen und nicht erreichten Idealen menschlich "ans Herz gewachsen".
Wenn man sich bloß den eigenen inneren Abgründen mal stellt (und dabei trotzdem im Frieden mit sich selbst bleibt), wird einen kaum eine Enthüllung über Dostojewski wirklich entschieden gegen ihn einnehmen.
Das einzige, was mich wohl wirklich schockieren könnte: wenn etwas dran wäre an der Unterstellung, er habe in Stavrogins Beichte ein eigenes Verbrechen wiedergegeben. Aber das glaube ich nicht, ich denke an so etwas wäre er innerlich völlig zerbrochen.
"Das einzige, was mich wohl wirklich schockieren könnte: wenn etwas dran wäre an der Unterstellung, er habe in Stavrogins Beichte ein eigenes Verbrechen wiedergegeben. Aber das glaube ich nicht, ich denke an so etwas wäre er innerlich völlig zerbrochen."
Man weiß es nicht. Das Thema wurde bereits mal im ersten Dostojewski-Thread ausgiebig besprochen. Ich gehe von 50 / 50 aus.
Zu der Zeit waren "solche Dinge" von extremer Belanglosigkeit. Die Kinder sind allenthalben schlichtweg verreckt. Es hat niemand gekümmert (Siehe auch die berührende Geschichte von Dostojewski "Der kleine Knabe am Weihnachtsabend beim Herrn Jesus"). Ein Menschenleben war nichts wert. Es zu missbrauchen, vermutlich nie einfacher. Der Preis war geringer nicht zu gestalten. Insofern wäre es unrealistisch, der gesamten intellektuellen Kaste, pro forma ausnahmslos einen solch hohen moralischen Rang zuzuordnen, der sie von diesem Sodom und Gommorra, dass sie ja allenthalben umgab, sobald sie nur vor die Haustür traten, fernhielt. Und Dostojewski wäre da eben vermutlich nicht ganz hinten in der Schlange gestanden. Ich halte es für gut möglich. Nach meiner Auffassung wäre das bedauerlich, jedoch im gesellschaftlichen als auch persönlichen Kontext nicht überraschend.
Ich wollt aber eben kein Stück darauf bestehen, dass etwas an diesem Verdacht wahrhaftig ist. Mit gleicher Intensität könnt`ich aber auch den Vorwurf mittragen.
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