HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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RE: Dostojewski 2
in Die schöne Welt der Bücher 16.12.2012 12:40von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Zitat von Kjetsaa
Warwara Timofejewa, eine Kollegin zu Dostojewskis Redakteurszeit bei der Zeitschrift "Der Staatsbürger", äußerte ihm gegenüber, dass sie lebe, um zu schreiben. Daraufhin antwortete ihr Dostojewski:
"Sie leben wirklich dafür? Nun dann sollten Sie einfach mit dem Schreiben beginnen. Aber merken Sie sich meinen Rat: Nie versuchen, etwas zu erdichten, weder Sujet noch Intrige, sondern das verwenden, was das Leben einem bietet. Es ist so unendlich ergiebiger als alles, was wir uns ausdenken! Die Phantasie gibt Ihnen nie und nimmer so viel wie das Leben, ganz gleich, wie gewöhnlich und alltäglich es erscheint."
(Kjetsaa; Der gewaltigste unter den russischen Giganten S. 347)
... dabei ist Vieles in Dostojewskis Werk seinem eigenen subjektiven Geist entsprungen, bedenkt man das Endergebnis seiner Romane und die etlichen Passagen tiefer Sinnsuche. Ich denke, er meinte hier vielmehr Geschehen, die er selbst aus Zeitungen erfuhr und dann im Roman verwendete, als die Wirklichkeit, die viel mehr bietet als sich ein gesunder Verstand ausdenken kann. Dostojewski hat sich ja bekanntlich stark für Verbrechen und derartige Gerichtsverfahren interessiert. Daher war es auch möglich, die menschliche Seele samt Abgründe so auszuloten, wie er es getan hat.
Tatsächlich aber dient ihm jede Figur alleine als Botschaft und Metapher für etwas und entspringt keineswegs der Realität.
Ich stimme, was "Stawrogins Beichte" angeht, mit Nötzel überein.
Zitat von Meier-Graefe
"Karl Nötzel hat die Unwahrscheinlichkeit der Legende aufgedeckt und mit Recht die Fahrlässigkeit solcher 'Forschungen' gerichtet. Er behauptet, allen Gerüchten dieser und ähnlicher Art nachgegangen zu sein und immer nur `unhaltbaren Quatsch` gefunden zu haben."
Auch neigte Dostojewski zur Selbstdemütigung. Ich sehe fast die Situation vor mir, als er bei Turgenjew eintritt und nicht genau weiß, wie er ihm, den er eine Weile bewundert hat, begegnen kann. Was sich dann in seinem Schädel abspielte, weshalb er seinen Roman in die Wirklichkeit versetzte und dann wieder zurücknahm, das bleibt natürlich reine Spekulation. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass Dostojewski an sich schon schockiert war, so etwas geschrieben zu haben und eine Wirkung erfahren wollte, wie andere Menschen und Schriftsteller auf diese Episode reagieren.
Ich persönlich halte es für unmöglich, dass Dostojewski so etwas getan haben könnte. Es passt nicht zu seinem Charakter, zu seinem Empfinden. Dass er sich so eine Situation vorstellen konnte, ist etwas anderes, denn hier sehe ich wieder seine typische und oft verwendete Situation: das unschuldige Opfer, besser gesagt: das unschuldigste aller unschuldigen Opfer. Gerade minderjährige oder geistig zurückgebliebene Menschen und dazu noch Frauen waren wohl für den Schriftsteller die Unschuld selbst. An ihnen und den an ihnen begangenen Verbrechen konnte Dostojewski dann die Taten seiner Figuren hinterfragen, denn sie stehen außerhalb jedweder Provokation oder Mitschuld, noch weniger als die Kinder und Alten. Die Tat ist also absichtlich bösartig, die an ihnen begangen wird. Dies zu beschreiben, war ein sehr gewagter Schritt für seine Zeit.
Zitat von Jatman
Zu der Zeit waren "solche Dinge" von extremer Belanglosigkeit.
Dass zu der damaligen Zeit so etwas einfacher oder gar belanglos war und nicht so ernst genommen wurde, das glaube ich übrigens nicht. Ganz im Gegenteil wurde so etwas durchaus als Verbrechen angesehen und darüber zu schreiben, war eine Herausforderung gegen die Tabus. Ich denke, alleine darum ging es Dostojewski, bei Turgenjew herauszufinden, inwieweit sein Wagnis erlaubt war oder welche Reaktionen es tatsächlich hervorrufen würde.
Dass es für die damalige Zeit auf jeden Fall ein Tabu-Bruch war, so etwas in Worte zu fassen und das Verbrechen mit der Schuldsuche zu koppeln, zeigt sich dann doch wieder an den danach aufkommenden Gerüchten, Dostojewski hätte die Tat selbst begangen.
Art & Vibration
Tabu war das Thema mit Sicherheit. Tabus gibt es jedoch immer um Dinge, die nichts Außergewöhnliches darstellen und jedem bekannt sind.
"Ganz im Gegenteil wurde so etwas durchaus als Verbrechen angesehen und darüber zu schreiben, war eine Herausforderung gegen die Tabus"
Sehe ich nicht anders. Ich stimme Deinem Posting auch in allen anderen Dingen zu. Und dazu gebe ich halt noch die andere Seite.
Es dürfte jedoch eine ähnliche Bigotterie wie heute noch bei vielen Thmen in den USA geherrscht haben. Es war auch nicht mein Ansinnen, das alte Thema wieder aufzuwärmen, denn es ist müßig. Für mich gelten die besagten fifty / fifty - ohne eine Richtung zu bevorzugen.
www.dostojewski.eu
RE: Dostojewski 2
in Die schöne Welt der Bücher 16.12.2012 12:58von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Ich finde die Diskussion durchaus interessant, gar nicht müßig. Ich überlege dann immer und versuche mittels des Werkes und dessen, was ich über Dostojewski weiß, das Ganze irgendwie zu rekonstruieren.
Auch gefallen mir die verschiedenen Auszüge und Aspekte auf deiner Dostojewski-Seite zu diesem Thema.
Art & Vibration
"Auch gefallen mir die verschiedenen Auszüge und Aspekte auf deiner Dostojewski-Seite zu diesem Thema."
Erstmal wieder Danke. Weshalb. Es scheint also demnach, dass auf der Verdachts-Seite keine Meinung tendenziell / subtil bevorteilt wird. Das würde mich freuen, denn alles andere wär nicht im Sinne der Seite.
Apropo Tendenz. Ich habe jetzt mal zu Michail und Fjodor eine Seite erstellt. Bin mir aber nicht sicher, ob der Gedanke nüchtern genug rüberkommt oder die Vermutungen/Annahmen zu konstruiert erscheinen. Es gehört auch noch die Zeit 60 - 64 etwas beleuchtet. Da ist aber mit Briefen nicht viel zu holen. So muss ich mir wohl etwas mehr Arbeit machen. Ein bescheidenes Feedback, wenns passt, würde ich mich freuen. Eine Art Qualitätskontrolle oder Tüff.
www.dostojewski.eu
Etwas weit hergeholt, aber bei derartigen Vorhaben, wird mir immer leicht anders:
„Sowohl bei Palm, wie auch Pleschtschejew findet sich das Bestreben, ein Mädchen aus zweideutigen Verhältnissen umzuerziehen, - sie zu rehabilitieren. Dostojewskij scheint dabei eine führende Rolle gespielt zu haben.“
Neuhäuser, Das Frühwerk Dostoevskijs S. 44
Ebenso wird der Brief Dostojewskis an seinen Bruder Michail angeführt, in dem sich Dostojewski amüsiert darüber beklagt „all die Minchen, Klärchen und Mariannchen usw. sind schöner als je, kosten aber furchtbares Geld. Dieser Tage haben mich Turgenjew und Belinski wegen meines unordentlichen Lebenswandels ganz fertig gemacht.“
„Minchen, Klärchen und Mariannchen“ sind alles deutsche Vornamen. Es besteht folgender Zusammenhang: Viele deutsche Handwerker hatten sich in Petersburg angesiedelt, konnten von ihrer Arbeit jedoch selten leben. So war es recht oft der Fall, dass sich deren Töchter prostituierten. Wenn Dostojewski von „Minchen, Klärchen und Mariannchen“ spricht, meint er schlichtweg Huren. Seine Begrifflichkeiten waren zu seiner Zeit klare und nicht zweideutige Psynonyme.
Vielleicht wollte er sich nur vor seinem Bruder brüsten wollen. Man weiß es nicht. Und dass Turgenjew und Belinski davon wussten und ihn halt ermahnten, kann eben auf die angesprochene Bigotterie hinweisen. Ein Tabu – aber für eine durchaus übliche, bekannte und nicht außergewöhnlich in Misskredit stehende Handlungsweise.
Vor diesem Hintergrund kann man sich dann noch die, zumindest für mich, ans Herz gehenden und bewegenden Beschreibungen Dostojewskis aus den „Erniedrigten und Beleidigten“ vorstellen.
So entsteht ein diffuses Handlungsfeld, wo die Grenzen von Minderjährigkeit und freiem Willen weder zweifelsfrei auszumachen sind, aber auch ein vordergründiges Interesse an „solchen Details“ nicht naheliegt.
Diesen Kontext im Rücken, kann man (Dostojewski) dann schon mal eine Anmerkung machen, die damals so groß keinen angehoben hat.
Andererseits ist es dann absolut kein Problem postum eine große Sache draus zumachen, indem einfach Wertigkeiten innerhalb des gegebenen Sachverhalts neu betont, wichtet und verschiebt. Und zack gibt es DEN Verdacht.
Und in der Öffentlichen Wahrnehmung wird man solche Dinge halt nicht los. Da hat sich nichts geändert.
www.dostojewski.eu
RE: Dostojewski 2
in Die schöne Welt der Bücher 17.12.2012 18:27von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Zitat von Jatman1 im Beitrag #109
Es scheint also demnach, dass auf der Verdachts-Seite keine Meinung tendenziell / subtil bevorteilt wird. Das würde mich freuen, denn alles andere wär nicht im Sinne der Seite.
Ja, auf der Seite ist nichts eindimensional. Ein neutrales Zitieren aus vielen Quellen ermöglicht, sich eigene Gedanken zu machen.
Zitat von Jatman1 im Beitrag #109
Apropo Tendenz. Ich habe jetzt mal zu Michail und Fjodor eine Seite erstellt. Bin mir aber nicht sicher, ob der Gedanke nüchtern genug rüberkommt oder die Vermutungen/Annahmen zu konstruiert erscheinen.
Da erscheint nichts konstruiert, sondern es wirkt auf mich einfach als eine Betrachtung der Beziehung, die sehr aufschlussreich ist, insbesondere durch die Briefe und den Zwischenlebenslauf beider Brüder. Für mich ergibt das ein Bild eines sehr schwierigen Verhältnisses, einerseits weil Dostojewski ein aufbrausender und manchmal auch selbstgerechter Mensch ist, andererseits weil Michail dagegen eher schwach und duckmäuserich ist, nicht fähig, sich im Leben richtig durchzusetzen (sicherlich auch aufgrund des Alkoholproblems). Erst als Dostojewski zurückkehrt, entsteht zwischen beiden wieder eine Annäherung, aber auch darum, weil Dostojewski verzeihen kann, eine bereichernde Gabe für beide Brüder. Ich bin mir sicher, Michail hätte sich ihm nicht genähert, hätte den Rückzieher gemacht, wäre nicht fähig gewesen, auf seinen Bruder zuzugehen, aufgrund seines Wesens und auch seines Schuldgefühls. Zum anderen war Dostojewski ein sehr schwieriger Mensch und Umgang, dem zu begegnen auch Kraft erforderte.
Kurz... doch, doch, das kommt alles gut rüber. Das Ganze kannst du ja dann immer weiter auffüllen.
Bin echt am Überlegen, ob ich mir den Briefwechsel vom Insel-Verlag auch noch zulege. Durch Dostojewskis Briefe findet man ja sehr stark in seine Welt hinein, was wiederum auch zeigt, dass es nicht wichtig ist, in der Korrespondenz literarisch perfekt zu sein, sondern einfach nur lebendig, ganz im Leben stehend, mutig genug, von sich zu berichten und auch über den eigenen Kummer zu schreiben. Das fehlt in Aufzeichnungen und Briefen, die für ein Publikum konstruiert wurden, völlig. Da bleibt so mancher glasklare Gedanke dann auch gläsern, tot.
Art & Vibration
Dank für`s Lesen und Meinung haben.
Sehr schön zusammengefasst. Deine Ansichten decken sich in diesem Fall völlig mit meinen. Mit einem ergänzenden Gedanken zu dem Deinen:
„Erst als Dostojewski zurückkehrt, entsteht zwischen beiden wieder eine Annäherung, aber auch darum, weil Dostojewski verzeihen kann, eine bereichernde Gabe für beide Brüder.“
Als Dostojewski in Twer war, hatte Michail das Buisness für seinen Bruder bereits wieder etwas angekurbelt. Michail war der Geschäftsmensch; hatte vom Grundsatz da Ahnung. Seine Fabrik schrieb schon längst hoffnungslos rote Zahlen. Es galt nach Auswegen zu suchen. Dostojewski war Ex-Verbannter und durfte nichts Geschriebenes herausgeben. Es galt nach Auswegen zu suchen. Dostojewski liefert Inhalt und Michail gibt Namen und pragmatische Arbeit. Sie müssen sich nicht unbedingt näher gekommen sein. Vielleicht war es nur schlichte Notwendigkeit – wie schon früher: eine Zweckgemeinschaft unter dem Deckmantel der brüderlichen Verwandtschaft.
Und die Rechnung ging ja im wahrsten Sinne des Wortes auf – „Die Zeit“ war ein brachialer Erfolg. Bis zu Strachows Artikel „Eine verfängliche Frage“. Dann war mal wieder der Obergau angesagt. (Mann, es ist unvorstellbar, was der Dostojewski alles ausgehalten hat, ohne psychisch völlig abzudrehen ) Mit Suslowa klemmts. Der Bruder baut gesundheitlich massiv ab. Seine Frau siecht dahin und liegt im Sterben. Die neue Zeitung „Epocha“ kommt nicht ins laufen und unterliegt dem Spott der Konkurrenz. Die Schulden beider Dostojewskis steigen unaufhaltsam. Die Ehefrau stirbt, der Bruder stirbt, sein Freund und Kollege Grigorowitsch stirbt. Dostojewski hat die Schulden am Hals, das ungeklärte Verhältnis zu Suslowa, die Familie seines verstorbenen Bruders (das sind seine Frau und ihre vier Kinder plus Michails Geliebte mit einem Kind) ist zu unterhalten, Stiefsohn Pascha fordert ungeniert ein. Der Wahnsinn; und Dostojewski „entkommt“ auch wieder diesem Desaster.
Huhh. Man merkt mir wohl an, wie sie gerade mit mir durchgegangen sind. Dostojewskis Story ist einfach der Hammer.
„was wiederum auch zeigt, dass es nicht wichtig ist, in der Korrespondenz literarisch perfekt zu sein, sondern einfach nur lebendig, ganz im Leben stehend, mutig genug, von sich zu berichten und auch über den eigenen Kummer zu schreiben. Das fehlt in Aufzeichnungen und Briefen, die für ein Publikum konstruiert wurden, völlig. Da bleibt so mancher glasklare Gedanke dann auch gläsern, tot.“
Inzwischen habe ich mich ja an seine Bettelei und ungefragte Inanspruchnahme eines jedermanns und die vielen Sachen gewöhnt. Wie soll es auch anders sein; Dostojewski ist widersprüchlich – sehr – und immer.
Exkurs – wieso dann eigentlich nur mit der Ausnahme seiner Liebe zu den Kindern - Exkurs beendet.
Bin nicht so umwerfend belesen, was ich aber bisher an Briefen von anderen Größen gelesen habe, so schreiben eben auch diese Großen in und mit ihrer Größe, ohne sie abzulegen – ihre Größe.
Dostojewski erscheint in seinen Briefen als Mensch und natürlich wieder als ein widersprüchlicher ;-) jedoch als Mensch. Er hat sich nicht geschützt. Kein Brief Schöngeisterei. Kein Brief ohne pragmatischen Anlass. Insofern sind Dostojewskis Briefe vielleicht etwas Einzigartiges. Ich habe nicht den Vergleich. Oft hatte er vermutlich auch niemanden, mit dem er sich über profanes austauschen hätte können. Da haben es die Briefe halt mit abbekommen ;-) Seine Frau, war es scheinbar auch nicht oft. Aber zu schnell – da müsste man erst mal in die Briefwechsel der Beiden speziell hineinschauen. . .
Ein Wunder, dass seine Frau, soviel Fleisch an den Briefen gelassen hat. Hat sie doch ansonsten verschönt bis vernichtet, was dem Bild ihres Mannes schaden konnte. Hm.
Zwei belanglose und doch interessante kleine Infos, den Briefen entnommen:
Dostojewski hat es hinbekommen, dass die Frau Michails! auch den üblen Pascha zunächst eine Weile versorgt hat. Unglaublich!
Und Dostojewskis Flucht mit seiner zweiten Frau ins Ausland, war einer konkreten Warnung durch einen Bekannten Dostojewskis geschuldet. Der hatte ihm konkret gesteckt, dass es ein aussichtsreicher Antrag auf Zwangsvollstreckung gegen Dostojewski bereits läuft. Dass es bereits so konkret war, war mir bisher nicht bewusst / bekannt. 1870 schreibt er aus Dresden an Maikow u.a. : „Wie hätte ich mich denn damals, gerade frisch verheiratet ins Gefängnis sperren lassen können? Ich wollte das nicht und reiste ab – das ist alles.“
www.dostojewski.eu
Ich habe mal gezielt Biographien auf die Jahre 1860 bis 64 durchgesehen. In allen 8! Büchern gibt es keinen Hinweis auf das Verhältnis der beiden.
nicht menschlich
nicht geschäftlich
nicht organisatorisch
nicht inhaltlich
nicht politisch
nicht familiär
F. war für den Inhalt und M. für den Rest verantwortlich; bei Epocha und Wremja. Nichts mehr.
In Bälde dann, was ich meine, zwischen den Zeilen lesen zu könen.
www.dostojewski.eu
In Bälde wurde dann doch kürzer
Die Zeitschrift „Die Zeit“ ließ sich gut an. Dass sie ein Erfolg würde, war im Juli 1862 noch nicht sicher abzusehen. Das Arbeitsvolumen dürfte erheblich gewesen sein.
Was aber macht Dostojewski. Er macht von Juli – September einen Europa-Trip. Schulden hatte er zudem auch noch unermesslich viele.
Hinzu kommt:
„1862 war zudem eine unruhige Zeit in Russland. Mehrere Schriftsteller wurden verhaftet, Universitäten geschlossen, Zeitschriften beschlagnahmt. Sein Bruder Michael wurde zum Verhör zitiert und es wurden mehrere Brände in Petersburg gelegt. Dostojewski befürchtete auch einen `Rückgriff auf seine Person`. So kam ihm eine Reise ins Ausland sehr gelegen.“
Geir Kjeetsa; Dostojewskij, Sträfling - Spieler - Dichterfürst S. 186
Die komplette Arbeit dürfte Michail am Hals gehabt haben. Briefe hat Dostojewski von der Reise einige geschrieben. Auch nur einen an Michail habe ich nicht gefunden. Gefunden habe ich eine Karikatur aus dem Jahre 1862. Und wer steht da in der Schlange vor dem Zimmer des Zensors? Michail – und nicht Dostojewski. Somit war allem Anschein nach auch öffentlich klar, bei welcher Person, der Arbeitsschwerpunkt lag.
(Zu sehen sind u.a. Nr. 1 - Nikolai Nekrassow, 2 - Vasili Kurochkin, 3 - Stepan Gromeka, 4 - Michail Dostojewski)
Im Mai 1863 wird „Die Zeit“ verboten. Michail (so steht es auch allenthalben geschrieben) kümmert sich um eine neue Veröffentlichungslizenz für die „Epocha“.
Was macht Dostojewski? Er reist von August – Oktober 1863 nach mit Suslowa Deutschland. Briefe an seinen Bruder sind mir nicht bekannt. An andere Personen schreibt er sehr wohl.
Als er zurückkehrt, siedelt er nach Moskau zu seiner Frau um. Dort blieb er bis zu deren Tod im Frühjahr des Folgejahres.
Als die Epocha erscheint und auch bereits in deren Vorbereitungszeit, ist Dostojewski nicht in Petersburg zugegen, er weilt unentwegt bei seiner sterbenskranken Frau.
„Michail erweist sich als unfähig, zudem trinkt er seit einiger Zeit über die Vernunft und vernachlässigt das Geschäft gefährlich.“
Troyat S. 254
Dostojewski schreibt Michail aus Moskau. Er äußert vorrangig seinen Unmut über die erste Ausgabe der Epocha. Persönliches Interesse an der Lebenssituation Michails, die ja bereits mehr als prekär war – Fehlanzeige.
Anfang April Fjodor an Michail:
„Ich bekenne, mein Bruder, dass ich Dir jetzt ein schlechter Helfer bin. Das werde ich später wieder gutmachen.“
Nötzel Biographie S. 439
Es mutet durchaus wie Hohn an.
April 64 Brief Fjodor an Michail. Kein persönliches Wort. Und Michail und seiner Familie ging es zu der Zeit bereits verdammt dreckig. Lediglich seitenweise taktische Anweisung, wie Michail der reichen Erbtante Kumanin Geld aus dem Kreuz leiern soll.
April 1864 Fjodor an Michail. Der Brief beginnt sofort damit, dass Michail sich darum kümmern müsse, dass der Stiefsohn Pascha Hosen bekäme. Genau jener Pascha, dessen Mutter ihn unter keinen Umständen sehen wollte. Persönliches Interesse – absolute Fehlanzeige.
Im März 1865 schreibt Dostojewski an Wrangel
„Ja, Alexander Jegorowitsch, Sie sprechen mir Ihr Beileid aus zu meinem verhängnisvollen Verluste, zu dem Tode meines Engels, meines Bruders Mischa, Sie wissen aber gar nicht, wie sehr das Schicksal mich zu Boden schlug!“
Kein Wort zum Bruder. Ab diesem Punkt lamentiert er über die Trauer um seine Frau.
31. März 1865 - Dostojewski an Wrangel. (Ein langer Brief und sehr aufschlussreich über den Verlauf des Scheiterns der Epocha)
„Sie wissen wahrscheinlich, dass mein Bruder vor vier Jahren eine Zeitschrift gründete. Ich war sein Mitarbeiter.“
Distanzierter geht es nimmer und steht in erheblichem Wiederspruch zum suggerierten Verhältnis, der beiden, die, Brüder auch im Geiste, eine Zeitung ins Leben gerufen und herausgegeben haben. In der Regel wird in der Sekundärliteratur von Dostojewskis Zeitschriften gesprochen. Dostojewski sah es eventuell etwas anders. Im selben Brief findet die Distanz ihre Fortsetzung:
„Da neue Abonnenten fast völlig fehlten (. . .) so musste danach mein Bruder die Zeitschrift mit Verlust herausgeben. Das gab ihm endgültig den Rest. Er begann Schulden zu machen, und seine Gesundheit ward erschüttert. Ich war um diese Zeit nicht bei ihm. Seine Familie blieb buchstäblich ohne alle Mittel – sie hätten betteln müssen.“
In Folge gibt er vor, der Familie zuliebe, versucht zu haben, die Zeitschrift fortzuführen. Was als sicher anzunehmen galt, bestätigt sich hier: Dostojewski wusste umfänglich um seinen zu Grunde gehenden Bruder etc. Leider findet man keine Belege für Anteilnahme am Schicksal seines Bruders. Und das von dem Mann, dem man doch wegen seiner herzzerreißenden Anteilnahme am Schicksal der Erniedrigten so schätzte.
So wird auch die Wut Michails Frau auf Dostojewski viel nachvollziehbarer; zumindest für mich. Das gilt für Lebzeiten Michails als auch danach.
Es ist doch eine Art Fluch, von jemandem wie Dostojewski abhängig zu sein. Ein faktischer Horrortrip.
Und hier geht wieder mein Gedanke an die Bemerkung Michails, dass Dostojewski doch besser in der Verbannung bliebe. Vielleicht zu hart. Inzwischen aber für mich nachvollziehbar.
Vielleicht zu tendenziell. Kann man sich hier ja zum Glück leisten. Im Kern bin ich jedoch zu der Meinung gekommen, dass es kein inniges Verhältnis sich liebender Brüder gewesen ist.
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Es geht weiter im, als Blog missbrauchten, Thread.
Die Fassung zum Verhältnis der Brüder Michail und Fjodor ist fertig: Hier.
Ich weiß, sie ist zu lang.
Da frach ich: Was kann weg? Was sollte weg? Was muss weg?
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Ich hatte zwar keinen epileptischen Anfall wie Dostojewski. Ich leide heute aber unter ähnlichen Folgeerscheinungen wie Missmut. Gedächtnisverlust. Mattheit. Niedergeschlagenheit. Unproduktivitätt etc. Unfähig zu irgend etwas.
Ein Wunder eigentlich, dass Dostojewski nicht noch ein Trinker gewesen ist.
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.... doch doch. Nach diesem Wochenende sollte ich wieder hergestellt sein.
Zur Info: Liest sich recht interessant: Dostojewski im br
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Amüsant. Solche oder ähnliche Fragen bekomme ich gelegentlich über meine Page. Warum amüsant?!
Ich bin froh, dass ich mich durch alles von Dostojewski streckenweise wahrlich durchgekämpft habe. Bei den Karamasows habe ich erhebliche viel nicht erfasst und kam nur schwer damit zurecht. Gleiches beim Idioten. Der Kampf durch Dostojewskis Werk zieht sich bei mir über alle möglichen Ausgaben also auch Übersetzungen.Wie man hier shen kann:
Nie habe ich auf die Übersetzung geachtet. Ich habe auch kein Dostojewski zweimal gelesen. Ich habe kein Vergleich. Selbst wenn, berechtigte dies zu keinem Urteil. Es bliebe Geschmacksfrage. Ein Urteil kann sich meines Erachtens nur der leisten, der Dostojewski in Russisch gelesen hat und zudem mehrere Übersetzungen. Sojemand dürfte sich ein Urteil leisten. Alle anderen Statements in Sachen "gute Übersetzung" sind, meiner Meinung nach, mit Vorbehalt zu betrachten.
Eine Ausnahme: Den Idiot wollte ich mal in der Geier-Version lesen. Habe ich nach 50 Seiten aufgegeben. Geier macht die Sprache moderner, nimmt dem Text jedoch ein Stück zeitliches Colorit. So mein Gefühl.
Und da er, der pattende Möser, gehalten scheint, in der Sprache diffus, gelehnt an Altes, zu schreiben gelustig ist, sollt nicht Hand anlegen an Geier-Übersetzung.
Die Frage "Die zehnbändige Dostojewski-Ausgabe vom Piper Verlag, ist die empfehlenswert? Auch in dieser Übersetzung?" können vermutlich nur wenige Menschen tatsächlich beantworten - nehme ich mal an.
Ich zumindet, bin diezbezüglich völlig unwissend.
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