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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst


#136

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 05.01.2013 18:41
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

Das ist nicht zu toppen!
So hat er denn gewinnender Weise die Bildchen zum Einsatze gebracht. Gar genialisch.


www.dostojewski.eu
zuletzt bearbeitet 05.01.2013 18:42 | nach oben springen

#137

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 05.01.2013 18:49
von Patmöser • 1.121 Beiträge

Nein, nein, gewonnen hat dein gelber Pagodenhut!

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#138

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 08.01.2013 10:18
von Patmöser • 1.121 Beiträge

Was ich mich eigentlich immer wieder frage: Warum dieses nachhaltige Interesse an Dostojewski, dieses Interesse bei vielen "gestandenen" Ausnahmemenschen, gerade in ihrer sich doch recht bewussten und bestimmenden Lebensform? Was hat dieser Dostojeweski an sich (in sich), das sich viele Menschen, in dieser Welt, um den Mann mit dem "bleichen Verbrecherantlitz" so viel "geistige" Mühen machen?

zuletzt bearbeitet 08.01.2013 10:19 | nach oben springen

#139

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 08.01.2013 16:03
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

„Geistige Mühen“ sind es eben für mich nicht. Und für mich hat es gerade mit jener bewussten und bestimmenden Lebensform zu tun, die sich an den Zeilen Dostojewskis stärkt und nährt, wie ein Durstiger in der Wüste.

Für mich stellt sich die Frage andersherum, wie es sein kann, dass jemand in Dostojewskis Werk nichts findet (was jetzt tatsächlich nur ein Erstaunen ist, kein Unverständnis per se). Für mich beinhaltet sein Werk etliche existentielle Dinge, nicht nur, durch das, was er schreibt, sondern bereits in der Auferstehung seiner Figuren und Gespräche, seiner Auffassung von der Welt, seinem Menschlich-Sein im Roman. Seine Hinterfragungen führen für mich viel weiter, als mir tatsächlich als geistige Hilfe dient oder auch nur dienen könnte. Es ist extremer, tief emotional, wie ein durch Dostojewski gelenkter Blick in den Spiegel und auf sich selbst, um zu sehen, wie man selbst handelt, denkt, in der Welt agiert. Die Fragen, die er stellt, die er ganz explizit an den Menschen richtet, egal welches Jahrhunderts, die erreichen mich ganz und gar. Es geschieht im Wirbel der Begegnungen, in der Hektik des Alltags so schnell, dass man viele innere Prozesse nicht weiter durchdenkt oder das, was man moralisches Handeln und Nächstenliebe nennt, ab und an vergisst, anzuwenden. Man gerät damit in ein einfaches IST und versucht, sein Leben zu meistern, vergisst darüber hinaus häufig, was alles dazu gehört, das Leben als Leben selbst wahrzunehmen. Für mich öffnet Dostojewski jene kurzzeitig festgefahrenen Momente und lässt mich erneut erfassen, wer ich bin und Rechenschaft darüber ablegen, wie ich handle, denke, fühle. Es ist also auch eine Art Reinigung.

Dostojewskis Zeilen berühren etwas, dass mich persönlich immer wieder dazu verleitet, die Dinge neu zu überdenken und enthalten stellenweise tiefe Grundwahrheiten, die mir kein anderer Autor aufdeckt. Das hat nicht so sehr mit seinen Themen selbst zu tun oder den Geschichten, die er erzählt, die für mich lediglich der Spannung und Erzählstruktur dienen sollen, aber im Grunde nicht wesentlich sind, sondern mit den Zwischenfrequenzen, die ich als Leser in seinen Zeilen wahrnehme. Alles dreht sich um das Menschlichsein. Alles hinterfragt, wie der Mensch in der Welt sein sollte, ohne dass Dostojewski Antworten hinwirft, um es dem Leser zu vereinfachen. Im Gegenteil zeigt er einfach so viele Perspektiven auf, dass der Leser genötigt ist, selbst zu denken, selbst zu erschließen, und wenn es gut läuft, auch den Blick allmählich auf sich selbst zu lenken. Die Zeit spielt ja tatsächlich keine Rolle. Ob vor tausend Jahren oder heute, die Grundtendenzen des menschlichen Handelns ändern sich nicht. Das Gute, das Schlechte im Menschen existiert nicht, nur das bewusste Denken und Handeln, denn wie man handelt, das kommt auf einen zurück, daran glaube ich fest. In einfachen Bedingungen ist ein Lächeln ein Lächeln, und schenkt man dieses, dann bekommt man es von irgendwoher zurück. Das ist eine Art Grundgesetz und kann jeder nach Belieben probieren. Von wo es zurückkommt, ist dabei völlig unwichtig. Von diesen kleinen Situationen kann man dann auch auf die größeren schließen. Man lenkt also auch die Begegnungen, nicht nur die eigenen Schritte. Vielleicht bedarf es hier einzig des Wahrnehmen-Wollens selbst.

Wenn ich Dostojewski lese, bleibt dabei bei mir etwas Gesammeltes zurück, wie es, von mir aus, ein Buddhist in seiner Meditation erfährt, wenn er den Kopf leert und danach zusieht, in der Welt nach buddhistischen Grundsätzen zu wirken. Ähnliches bewirkt Dostojewski eben bei mir. Daran heran reicht weder die umfangreiche und faszinierende Welt Tolstois, die mir dagegen fast oberflächlich erscheint, weder Turgenjews klarer Stil, noch überhaupt irgendein anderer Russe oder Schriftsteller. Die Faszination entwickelt sich vielleicht auch aufgrund des völligen Begreifen-Wollens und meiner eigenen Interpretation der Worte, die von Dostojewski möglicherweise anders gemeint waren. Sein Werk wärmt mich. Dazu seine Sprache, seine Gedanken, seine Monologe, die aus den Mündern seiner Figuren ertönen, all das ermöglicht es mir, wie kein anderes Werk, mich von ihnen vollkommen einnehmen zu lassen, sie geistig und emotional ganz und gar erfassen zu wollen und auch gar nicht anders zu können.

Für mich spielt z. B. weder Dostojewskis Hintergrund noch tatsächlich (im Endeffekt) er selbst eine Rolle, sondern alleine dieses Werk, das ich manchmal nur fassungslos bestaune. Hier geht es nicht um die Bestätigung von Gedanken oder um etwas Prophetisches, es geht nicht um eine Entwicklung oder geistige Stütze, es geht nicht um das Erforschen psychologischer Abgründe und Schrecken, es geht für mich alleine um diese ganz typische Dostojewski-Atmosphäre, die nicht erhaben ist, die nicht perfekt ist, die schon gar nicht belehren möchte. Vielleicht ist es gerade das, und dass ich den Menschen immer wieder ausmachen kann. Jede seiner Figuren ist einmalig und unverwechselbar, selbst wenn sie eine gleiche „Rolle“ erfüllen soll. Jede Figur wächst mir irgendwie ins Herz, ohne dass ich es erklären könnte. Darum wird Dostojewski für mich immer ein Schriftsteller sein und bleiben, der mich ganz in seine Welt hineinziehen kann, so dass ich aus ihr verändert und tatsächlich besser im Fühlen und Denken hervorgehe. Kurz: Dostojewski ist mir ein Führer im Mensch-Sein, von dem ich durch die Ideale, die er aufzeigt, auch immer wieder für mich selbst die Erkenntnis darüber gewinne, wie ich bin, wie ich auf andere Menschen zugehe, wie ich es besser machen kann. Mag sein, dass das alleine bei mir in dieser Art und Weise stattfindet, aber dass es stattfindet, ist nun einmal der Fall. Er bessert mich innerlich und stärkt dann den Schritt in die Welt hinaus. Er ist so eine Art Selbstreinigung für mich, vereinfacht das Zugehen auf Menschen, stößt mich darauf, dass ich immer wieder neu überdenke, wonach ich strebe und wer ich bin.




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 09.01.2013 20:09 | nach oben springen

#140

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 08.01.2013 17:10
von Patmöser • 1.121 Beiträge

Ein erstaunlicher Beitrag, liebes Taxinchen, den könnte man getrost zwischen den Rezitationen von Hesse und Th. Mann stellen. Da steht viel gutes, auch völlig neu formuliertes, was man so und aus dieser Weltsicht heraus weder bei Mann noch bei Hesse findet. Großartige Sache.
Gut, ende Januar beginnt dann eine neue Reise, hin und zu Dostojewski, dann habe ich dann genug Muße und mein neuer Lesesessel* (innerhalb kurzer Zeit der Dritte...) muss auch zünftig eingelesen werden! Was dann mit Dostojewskis düsterbunten Menschenkosmos wohl würdig begangen wird.

Vielleicht noch eine Frage, Taxinchen: Sah Dostojewski diese Welt, den Menschen, das uns Umtreibende, vorwiegend aus christlicher Sicht und Anschauung, oder siehst du ihn mehr als Pantheisten, oder noch ganz anders, auf religiöser Ebene jetzt einmal betrachtet?

* Die Geschichten um meine vertrackte Lesesesselites füllten wohl viele Bände...

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#141

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 08.01.2013 17:28
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Ja, habe lange überlegt, wie ich meine Gefühle zu Dostojewski einfach einmal klar auf den Punkt bringe. Ich glaube, ich konnte zum ersten Mal vermitteln, was ich genau meine. Das lag auch daran, dass du die Frage gestellt hast. Ich glaube, Dostojewski ruft grundsätzlich völlig zweigeteilte Ansichten hervor. Vielleicht hängt es auch damit zusammen, mit welchem Werk man beginnt oder wie man mit dem Werk reift oder es in einen hineinwächst (?). Wer weiß. Vielleicht bedarf es ganz einfach einer ähnlichen Sinnsuche oder eines ähnlichen Gefühls für diese Dinge, die er zu ergründen sucht.

Zitat von Patmos
Vielleicht noch eine Frage, Taxinchen: Sah Dostojewski diese Welt, den Menschen, das uns Umtreibende, vorwiegend aus christlicher Sicht und Anschauung, oder siehst du ihn mehr als Pantheisten, oder noch ganz anders, auf religiöser Ebene jetzt einmal betrachtet?


Dostojewski sah es nicht ausschließlich im christlichen, sondern, wenn er diese Seite näher betrachtete, wohl noch eher im urchristlichen Sinne (das ja in seiner Werte-Vermittlung einige Übereinstimmungen mit z. B. dem Buddhismus hat). Mit der Kirche hielt er es wohl wie Jesus, sie kann überall sein, man benötigt kein Gebäude und keine Menschen, die sich anmaßen, Gott in irgendwelchen heiligen Hallen zu vertreten. Aber Dostojewski war auch ein ewiger Zweifler und stellte Gott und Glauben immer wieder in Frage. Ich denke, er wollte glauben, aber schaffte es nicht. Seine Figuren verkörpern alle Seiten, vom Atheisten bis zum tief Gläubigen, und er nimmt dabei keinerlei Stellung. Darum spricht er als Schriftsteller vielleicht auch sowohl Atheisten als auch religiöse Menschen auf seine Weise an, da jeder sich für die Figur entscheiden kann, die ihm sympathisch ist und dessen Ansichten er teilt.

Gott war für ihn einerseits sicherlich etwas, was jeder Mensch in seinem Herzen trägt, nicht so sehr die Natur, etwas Über-allem-Liegendes, sondern, eine Art "göttlicher Funke" in jedem. Wenn er ihn aber in Frage stellte, dann durchaus als denjenigen, als den ihn viele Christen anerkennen. Vater. Heiliger Geist. Ich denke, Dostojewski verurteilte auch vielmehr das, was der Mensch aus "Gott" machen wollte, verurteilte z. B. das Drohen mit der Hölle und die Sehnsucht nach einem Paradies, das für ihn, wenn es der Mensch nur erkennen würde, sofort jederzeit vorhanden wäre, schon im Leben. Dem gegenüber stellte er die Verantwortung des Menschen, der sich nicht alleine auf das Göttliche verlassen kann und sollte, seinen Gottmenschen (jeder Mensch ist (ein) Gott). Seine Figuren hinterfragen Gott manchmal so stark, dass sie sich selbst opfern, um zu beweisen, dass es ihn nicht gibt. Andere vermitteln eine Weitergabe dessen, was der Mensch aus Religion ziehen kann: Liebe. Glaube. Trost. Hoffnung. Seelenruhe. Wiederum andere hinterfragen, wieweit der Mensch das Recht hat, über andere Menschen zu urteilen oder eine Strafe über sie zu verhängen, was ja im Grunde auch eine Frage nach Mensch und Gott ist.
Alles, was Dostojewski benennt, stellt er auch gleichzeitig wieder in Frage.

So kann man schon sagen, er ist nicht so sehr religiös, sondern eher spirituell, ja, eher noch pantheistisch, obwohl er sich durchaus mit der streng religiösen Seite beschäftigte. Über seiner Couch hing Rafaels Madonna. Über seinem Fenster eine Ikone. Er war ein Suchender, der ahnt, dass der Verstand nicht ausreicht, um alles zu erfassen, der aber herausfinden wollte, wie man all das, was man nicht weiß und das, was man weiß, so anwenden kann, um das Leben wertzuschätzen und es überhaupt von "Mensch zu Mensch" zu leben. Auch sprach er sich häufig gegen den menschlichen Hochmut aus und appellierte an die Demut.

Sein "religiöses Werk" ist eindeutig "Die Brüder Karamasow". Auch wenn die Hinterfragung Gottes und des Glaubens in jedes Werk fällt, so sticht dieses doch mit einer sehr intensiven Suche danach hervor. Andere bieten breiter gefächerte Vorgänge, so "Die Dämonen" oder "Der Idiot".




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 08.01.2013 18:28 | nach oben springen

#142

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 08.01.2013 19:11
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

"Ein erstaunlicher Beitrag, liebes Taxinchen"
Wie kann man es auch anders sagen?! Ja, so ist es. . . vom Diminutiv mal abgesehen ;-)

Mit diesen zwei Statements müsste der Dostojewski-Thread geschlossen werden, auf das keiner diese Buchstaben-Ikone verwässert.

Für mich muten die Statements zudem wie eine intellektuelle Verminung an. Ich werde das Terrain aber nicht aufgeben

"Ich glaube, Dostojewski ruft grundsätzlich völlig zweigeteilte Ansichten hervor. Vielleicht hängt es auch damit zusammen, mit welchem Werk man beginnt oder wie man mit dem Werk reift oder es in einen hineinwächst (?). Wer weiß. Vielleicht bedarf es ganz einfach einer ähnlichen Sinnsuche oder eines ähnlichen Gefühls für diese Dinge, die er zu ergründen sucht."
Für das Fragezeichen: Ja, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit. Mich hat er ja auch erwischt, wo sein Werk und mein Leben "zusammengepasst" haben. Das Totenhaus bei der Armee gelesen - die Initialzündung.


www.dostojewski.eu
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#143

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 08.01.2013 21:05
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

Habe mir jetzt Die Beichte eines Juden in Briefen an Dostojewski von Leonid Großmann geschossen.
Das Buch beinhaltet jedoch mehr als nur dies. Kowner (so der Name des Schreibenden) lernt man kennen. Seine Entwicklung bis zu seiner Einkerkerung. Aus dieser hat er Dostojeski geschrieben. Zu einer Zeit, da Dostojewski mit Korrespondenzen bereits überflutet wurde. Kowners Briefe sollen ihn wohl extrem angerührt / angesprochen haben - so dass sich Dostojewski veranlasst sah, sich in einer Deutlichkeit zur Judenfrage zu äußern wie er es vorher nicht getan hat. Kowner hat ebenso mit Tolstoi geschrieben und eben auch Rosanow, also dem Mann, der mit Dostojewskis Polina dann verheiratet war. All diese Brief sind in dem Buch zu lesen. Sie sind nicht einfach abgedruckt, sondern bilden den Kern einer etwas weiteren Abhandlung zum Thema Dostojewski und die Juden.

Die bekannten Texte aus Dostojewskis Tagebüchern besitzen einen unmittelbaren Bezug zu dieser Korrespondenz. Insgesamt werden Dostojewski nach dem Lesen in einem komplexeren Kosmos einzuordenen sein - was ja bei Dostojewski nicht selten zu immer wieder wechselnden Drauf- und Einsichten führen kann.

Ein interessantes Buch demnach - vermutlich.
An einem Stück werde ich es wohl nicht runterreißen.

Nebenher.
Die Briefe an Kowners an Rosanow stammen aus dem Nachlass von Polina Suslowa. Das erstaunt mich. Polina hat lange nicht in die Scheidung eingewilligt, aber nach meinem Dafürhalten kam es doch zur Scheidung So kann Polina doch aber nicht seinen Nachlass verwaltet haben. Das wär doch ein Ding: Polina Suslowas verwaltet den Nachlass des maßgeblichsten Dostojewski-Forschers dieser Zeit . . .


www.dostojewski.eu
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#144

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 08.01.2013 22:48
von fedja • 38 Beiträge

Jatman schrieb irgendwo oben:

"Schuld und Sühne als Tatort"


Du wirst lachen, das gabs, vor etwa 1-2 Jahren lief das mal. Spielte wenn ich mich richtig entsinne in Frankfurt und entpuppte sich als moderne Raskolnikow-Geschichte. Durch ein Zitat wird der direkte Bezug zu Dostojewski hergestellt.

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#145

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 08.01.2013 23:24
von fedja • 38 Beiträge

... und jetzt habe ich auch Taxines Antwort auf die Frage gelesen, was an Dostojewski fasziniert.

Taxine, ich bin geplättet, wie Du das in Worte gefasst hast! Im Geiste schüttle ich Dir enthusiastisch beide Hände oder wahlweise knuddle und piekse ich Dich oder nicke mindestens anerkennend und verlang einen Literaturpreis für Dich.

Ja, in Dostojewskis Büchern steckt wirklich das ganze Leben drin.
Auch was Dostojewskis Christlichkeit betrifft - die ließ sich nicht ins Schema einer kirchlichen Organisation oder von Dogmen einfügen. Seine Christus-Faszination ist sicher herausragend, wobei es vor allem die menschliche Seite Christi ist, hinter der er die Göttlichkeit aufscheinen sieht (wobei sich diese Göttlichkeit auch in anderen Menschen spiegelt).

Seine Romane und seine Gestalten boten für Dostojewski die Möglichkeit, die Welt zu ergründen und sich den Fragen anzunähern, was sie im Innersten zusammenhält, ohne dass er zu eindeutigen Antworten gezwungen war. Und wir müssen auch als Leser der Brüder Karamasow nicht für Iwan, Aljoscha und Mitja positionieren, sondern können uns in allen wiederfinden.

Als 20 jähriger, ich hatte gerade im christlichen Glauben Halt und Orientierung gefunden, habe ich die Brüder Karamasow anders gelesen als mit 35 - vor allem habe ich die Figuren zum Teil ganz anders erlebt. Um z.B. die "Heiligen" in Gruschenka und Mitja zu erkennen, muss man erst einmal die "fundamentalistische Phase" des eigenen Glaubens hinter sich lassen ...

LG, fedja

zuletzt bearbeitet 08.01.2013 23:30 | nach oben springen

#146

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 09.01.2013 05:09
von Patmöser • 1.121 Beiträge

Zitat von Jatman1 im Beitrag #142

Das Totenhaus bei der Armee gelesen - die Initialzündung.



Meinen "ersten" Dostojewski", hier dann den Idioten, habe ich in der realsozialistischen Absonderungshaft gelesen. War für mich, damals, ein Tor das aufgestoßen wurde, ich ging aber nicht hindurch, war noch zu sehr eine Kriegerseele. Und Fürst Myschkin verglich ich nicht mit Jesus, Myschkin war für mich einer jener Menschen, die, egal welcher Religion, egal welchen Glaubens, das Leid aber auch die unzerstörbare Hoffnung dieser Welt tragen, einer der Menschen, die ich oft verspottete, und dann und oft sehr viel später darüber unendlich traurig war. Anhaltend, mir selbst das nie verzeihend, nie vergebend.
Ich liebe diese Menschen und ich habe doch gleichzeitig eine große Scheu und wahre Ehrfurcht vor ihnen. Vielleicht weil ich spüre, das ich wohl niemals so sein kann, wie sie es sind.

(Seltsamerweise begnete ich wenig später, in einem Durchgangs und Transportlager, meinen "ersten" Buddhisten. Wir tauschten immer Wurst gegen Käse, Fisch oder Quark, weil er doch kein Fleisch aß. Eine bemerkenswerte Persönlichkeit, für diesen edlen Menschen war Demut und Selbstlosigkeit so selbstverständlich wie das Atmen. Ich habe diesen großen Menschen niemals vergessen können. Mögen dann die Zeiten nie wieder kommen, wo man die Guten, wo man die besten und ehrlichsten Menschen eines Volkes nur in den Kerkern des jeweils herrschenden Regimes antrifft.)

zuletzt bearbeitet 09.01.2013 05:33 | nach oben springen

#147

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 09.01.2013 05:35
von Patmöser • 1.121 Beiträge

Zitat von fedja im Beitrag #145
... und jetzt habe ich auch Taxines Antwort auf die Frage gelesen, was an Dostojewski fasziniert.

Taxine, ich bin geplättet, wie Du das in Worte gefasst hast! Im Geiste schüttle ich Dir enthusiastisch beide Hände oder wahlweise knuddle und piekse ich Dich oder nicke mindestens anerkennend und verlang einen Literaturpreis für Dich.

Ja, in Dostojewskis Büchern steckt wirklich das ganze Leben drin.
Auch was Dostojewskis Christlichkeit betrifft - die ließ sich nicht ins Schema einer kirchlichen Organisation oder von Dogmen einfügen. Seine Christus-Faszination ist sicher herausragend, wobei es vor allem die menschliche Seite Christi ist, hinter der er die Göttlichkeit aufscheinen sieht (wobei sich diese Göttlichkeit auch in anderen Menschen spiegelt).

Seine Romane und seine Gestalten boten für Dostojewski die Möglichkeit, die Welt zu ergründen und sich den Fragen anzunähern, was sie im Innersten zusammenhält, ohne dass er zu eindeutigen Antworten gezwungen war. Und wir müssen auch als Leser der Brüder Karamasow nicht für Iwan, Aljoscha und Mitja positionieren, sondern können uns in allen wiederfinden.

Als 20 jähriger, ich hatte gerade im christlichen Glauben Halt und Orientierung gefunden, habe ich die Brüder Karamasow anders gelesen als mit 35 - vor allem habe ich die Figuren zum Teil ganz anders erlebt. Um z.B. die "Heiligen" in Gruschenka und Mitja zu erkennen, muss man erst einmal die "fundamentalistische Phase" des eigenen Glaubens hinter sich lassen ...

LG, fedja



Schöner Beitrag, Fedja, wäre schön, wenn du hier bleibst und öfter einmal schreibst...

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#148

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 09.01.2013 11:31
von Krümel • 499 Beiträge

Zitat von Patmöser im Beitrag #146
Und Fürst Myschkin verglich ich nicht mit Jesus, Myschkin war für mich einer jener Menschen, die, egal welcher Religion, egal welchen Glaubens, das Leid aber auch die unzerstörbare Hoffnung dieser Welt tragen, einer der Menschen, die ich oft verspottete, und dann und oft sehr viel später darüber unendlich traurig war. Anhaltend, mir selbst das nie verzeihend, nie vergebend.
Ich liebe diese Menschen und ich habe doch gleichzeitig eine große Scheu und wahre Ehrfurcht vor ihnen. Vielleicht weil ich spüre, das ich wohl niemals so sein kann, wie sie es sind.


Soweit bin ich noch nicht, wie hast du das geschafft? Für mich sind Figuren/Menschen wie nun beispielsweise in "Vom Winde verweht" dieser Ashley und auch diese Melly, so Myschkin Figuren, nach wie vor lebensuntauglich. Allein schon deswegen, weil Myschkin durch seine Passivität andere verletzte (zwei Frauen). Es war nicht das Naive, die unzerstörbare Hoffnung, die mich traurig gestimmt hat, sondern das Aufrichtige fehlte mir.

Zitat von Vom Winde verweht
Aber du bist dazu geboren, jeden beherrschen zu wollen, der sich von dir unterkriegen lässt. Die Starken sind zum Beherrschen geboren und die Schwachen zum Unterkriegen. (Rhett Butler zu Scarlett)



Man kann auch beherrschen, in dem man die Schwächeren schützt und bewahrt ...

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#149

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 09.01.2013 14:48
von fedja • 38 Beiträge

@ Patmöser

Ich glaube, Du hast Myschkin total begriffen. Unter Umständen kann es sogar verwirren, wenn man immer den Jesus-Vergleich im Hinterkopf hat.

Ich fühl mich dem Forum schon ausreichend verbunden, dass ich mich hier sicher hin und wieder zu Wort melde. Nur kenne ich als langsamer Leser viele der hier behandelten Autoren leider nur vom Hörensagen und kann deshalb nur an wenigen Stellen einigermaßen qualifiziert mitreden.

@ Krümel

Myschkin ist ja tatsächlich einer, der scheitert (da ist z.B. Aljoscha Karamasow eine Spur anders). Es geht nicht darum, in jemandem wie Myschkin ein Vorbild zu sehen.

Wenn Dich sein Scheitern traurig macht und empört, hast Du schon für Dich und diejenigen, die auf Deine Nächstenliebe angewiesen sind, "profitiert".

Siehe Patmösers Beitrag.

zuletzt bearbeitet 09.01.2013 14:49 | nach oben springen

#150

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 09.01.2013 15:49
von Patmöser • 1.121 Beiträge

Zitat von Krümel im Beitrag #149
Zitat von Patmöser im Beitrag #146
Und Fürst Myschkin verglich ich nicht mit Jesus, Myschkin war für mich einer jener Menschen, die, egal welcher Religion, egal welchen Glaubens, das Leid aber auch die unzerstörbare Hoffnung dieser Welt tragen, einer der Menschen, die ich oft verspottete, und dann und oft sehr viel später darüber unendlich traurig war. Anhaltend, mir selbst das nie verzeihend, nie vergebend.
Ich liebe diese Menschen und ich habe doch gleichzeitig eine große Scheu und wahre Ehrfurcht vor ihnen. Vielleicht weil ich spüre, das ich wohl niemals so sein kann, wie sie es sind.


Soweit bin ich noch nicht, wie hast du das geschafft? Für mich sind Figuren/Menschen wie nun beispielsweise in "Vom Winde verweht" dieser Ashley und auch diese Melly, so Myschkin Figuren, nach wie vor lebensuntauglich. Allein schon deswegen, weil Myschkin durch seine Passivität andere verletzte (zwei Frauen).


Ich weiß nicht, liebes Krümelchen, wie ich es sagen soll... Für mich ist dieser Myschkin vielleicht auch das Symbol des "vorauswissenden" Schweigens, sozusagen. Denn was er auch hätte oder sagen wollen oder können, wer hätte Rat und ausgerechnet von ihm angenommen? Der Weise schweigt, weil er weiß...., und die Unschuld schweigt auch, weil die kindliche Unschuld vielleicht weiser ist, als der Weiseste...
Verstehst du jetzt, wie ich das so ungefähr meine?

Zitat
Man kann auch beherrschen, in dem man die Schwächeren schützt und bewahrt ...



Dazu, zum gerechten und damit beschützenden Herrschen, gehörten dann wieder wissende Ausnahmemenschen, die wiederum wissen, das Herrschen und in dem Sinne, früher oder später zum Herrschen führt. Wo fängt das Herrschen an, wo hört das Herrschen auf, bedenke dabei, wir sind und bleiben doch immer nur Menschen.

Mhhh, so richtig habe ich mich jetzt wohl trotzdem nicht verständlich machen können, vielleicht sehe ich das alles auch zu sehr durch eine Panentheisten-Brille..., oder ich habe das alles zu sehr verhumanisiert, wer weiß das schon zu sagen...

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