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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst


#151

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 09.01.2013 19:14
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

Zum Idiot
Hesse, Hermann; Blick in Chaos, Verlag Seldwyla 1921

Anfangs war der Text für mich ein Durchläufer. Doch ein paar Tage später, beim Lesen von etwas anderem erinnerte ich mich wieder an den Text (seltsam ) und habe ihn nochmal gelesen.
Für mein Gefühl hat es Mister Hesse hier schön auf den Punkt gebracht. Eine prima Essenz zu einem Buch, dass ich wohl nie mögen werde. Wer den Idioten lesen möchte, sollte sich das Textlein vorher antun. Könnte vorteilhaft sein. Uninteressant keinesfalls. Sollte mich zumindest wundern.

Wer Lust hat kann sich die 8 Seiten durchaus auch mal online antun: Gedanken zu Dostojewskis «Idiot»


www.dostojewski.eu
zuletzt bearbeitet 09.01.2013 19:15 | nach oben springen

#152

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 09.01.2013 19:27
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

Zu Karamasow

Das Buch habe ich noch nicht gelesen. Es soll "mein Beitrag" zur vorhergehenden Diskussion "Was macht eigentlich Dostojewskis Karamasow mit mir?" sein.
Ich habe es noch nicht gelesen. Aber selbst zum Blättern sicherlich nicht verkehrt - es gibt ein dezidiertes Inhaltsverzeichnis.

Wanner, Fritz: Leserlenkung, Ästhetik und Sinn in Dostoevskijs Roman Die Brüder Karamazov, München, 1988


www.dostojewski.eu
zuletzt bearbeitet 09.01.2013 19:30 | nach oben springen

#153

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 09.01.2013 20:56
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

Hallo,

erst einmal vielen Dank an euch alle für eure Worte. Ich bin erstaunt und mehr als glücklich, dass über Dostojewski eine richtig schöne Diskussion entflammt ist.


Zitat von Jatman1 im Beitrag #143
Habe mir jetzt Die Beichte eines Juden in Briefen an Dostojewski von Leonid Großmann geschossen.



Wo nur treibst du immer die Bücher auf, die man gar nicht mehr bekommt?

Zitat von Jatman
Nebenher.
Die Briefe an Kowners an Rosanow stammen aus dem Nachlass von Polina Suslowa. Das erstaunt mich. Polina hat lange nicht in die Scheidung eingewilligt, aber nach meinem Dafürhalten kam es doch zur Scheidung So kann Polina doch aber nicht seinen Nachlass verwaltet haben. Das wär doch ein Ding: Polina Suslowas verwaltet den Nachlass des maßgeblichsten Dostojewski-Forschers dieser Zeit . . .


Das Behalten und Aufbewahren der Briefe muss ja nicht gleich zur Nachlassverwaltung führen. Vielleicht spielte das weder für sie noch für Rosanow eine Rolle. Sicher waren die Briefe einfach in ihrem Besitz und daher dann auch in ihrem Nachlass.


Zitat von fedja im Beitrag #145
Seine Christus-Faszination ist sicher herausragend, wobei es vor allem die menschliche Seite Christi ist, hinter der er die Göttlichkeit aufscheinen sieht (wobei sich diese Göttlichkeit auch in anderen Menschen spiegelt).


Das sehe ich ähnlich. Dostojewski war von der Menschlichkeit und Handlung Christus' unglaublich beeindruckt und konnte über diese Gestalt, in der etwas Göttliches wirksam wurde, den Menschen für sich ganz neu ausmachen, eben auch in dem, was der Mensch Jesus verkörperte und was der reale Mensch davon alles umsetzen könnte. Das ist sicherlich auch mitunter das gewesen, was ihn zu einer Figur wie Myschkin angeregt haben muss.
Dostojewskis Einstellung zur Religion könnte man auch in den Worten des Selbstmörders Kirilloff vereinfachen. Der sagt in den „Dämonen“:
„Die Verneinung Gottes zieht unausweichlich die Bejahung des Menschen nach sich.“

Und, der Gegenpart, wie es sich für den Zweifler Dostojewski gehört, hier zitiert aus dem „Idioten“:
„Wir erniedrigen die Vorsehung gar zu sehr, wenn wir ihr unsere Begriffe zuschreiben aus Ärger darüber, dass wir sie nicht verstehen können.“


Zitat von Fedja
Als 20 jähriger, ich hatte gerade im christlichen Glauben Halt und Orientierung gefunden, habe ich die Brüder Karamasow anders gelesen als mit 35 - vor allem habe ich die Figuren zum Teil ganz anders erlebt. Um z.B. die "Heiligen" in Gruschenka und Mitja zu erkennen, muss man erst einmal die "fundamentalistische Phase" des eigenen Glaubens hinter sich lassen.


Lustig. Mir ging es ähnlich im Wechsel der Sympathien für die Figuren. Beim ersten Lesen, etwa mit zwanzig Jahren, war ich von Iwan fasziniert und mochte Aljoscha. Beim zweiten Lesen, Mitte Dreißig, tat es mir besonders Dimitri an, wobei ich Aljoscha immer noch mochte. Vielleicht war es gerade seine Selbstfindung und Hinterfragung, die mir gefallen hat, zu der Iwan, trotz seiner Intelligenz, nicht gelangt. Er sucht die Schuld immer noch im Außen. Das habe ich mit zwanzig Jahren noch gar nicht wahrgenommen, sicher auch, weil ich selbst noch dort nach Schuld suchte, bis ich zu der Erkenntnis gelangte, dass die Verantwortung eigentlich in allem, was ich tue, alleine bei mir liegt.



Zitat von Krümel
Für mich sind Figuren/Menschen wie nun beispielsweise in "Vom Winde verweht" dieser Ashley und auch diese Melly, so Myschkin Figuren, nach wie vor lebensuntauglich. Allein schon deswegen, weil Myschkin durch seine Passivität andere verletzte (zwei Frauen). Es war nicht das Naive, die unzerstörbare Hoffnung, die mich traurig gestimmt hat, sondern das Aufrichtige fehlte mir.



Also wenn einer aufrichtig, und zwar in aller Konsequenz aufrichtig ist, dann, in meinen Augen, Myschkin. Und auch, wenn er auf den ersten Blick naiv wirkt, so ist er durch seine Erfahrungen und Erlebnisse ja alles andere als naiv. Er hat sich bewusst dazu entschieden, so zu werden, wie er ist. Und das, was als Passivität erscheint, ist die Weigerung, sich dem unruhigen Chaos der Menschen in ihren eigenen Gefängnissen zu überlassen, sondern stattdessen "schweigend" unter ihnen zu sein und ihnen zu zeigen, wer sie sind.

Auch hat er die zwei Frauen nicht tatsächlich verletzt, sondern sie wollen partout in ihm etwas finden, was er nicht ist und haben sich an und über ihn durch sich selbst zerstört. Dass ein überprojiziertes Bild notgedrungen zerfallen muss und Enttäuschungen nach sich zieht, das ist nun einmal eine daraus resultierende Notwendigkeit. Aber dafür kann letztendlich Myschkin nichts.

Das ist ja auch das, was mich an Menschen häufig wundert. Dass sich jeder das Recht herausnimmt, nur weil seine Liebe eine ganz bestimmte ist, zu erwarten, dass der andere sie in gleicher Form erwidert. Die Liebe Myschkins bestand im Wesentlichen aus seinem Mitgefühl. Beide Frauen wiederum, so verschieden sie auch waren, benutzten ihn auf ihre Weise, um auf ihn das zu projizieren, was sie in ihm sehen wollten und wovon sie sich Entgegnung versprachen. Wo also liegt die Schuld Myschkins?

Myschkin urteilt nicht. Er ist eine reine Anwesenheit, über den die Menschen ganz einfach ihre Eindrücke kompensieren. Die einen freuen sich daran, einen naiven „Idioten“ vor sich zu haben und lachen ihn aus, die anderen erkennen sein inneres Wesen, wollen es aber nicht in aller Konsequenz wahrhaben und wundern sich hinterher, dass er ihren „Bedingungen“ nicht entspricht.

Am deutlichsten wird das natürlich an Nastassia sichtbar. Sie benutzt ihre zerstörte Jugend als Ausrede, um immer wieder nun ihrerseits ungerecht an den Menschen handeln zu dürfen und sich selbst damit zu quälen. Also entscheidet sie sich für Rogoshin und nicht für Myschkin. Inwieweit also hat Myschkin sie verletzt? Ist es nicht eher umgekehrt, würde man Myschkin nicht als denjenigen sehen, der er ist? Wenn er ein anderer Mensch wäre, der, wie jeder, immer noch mit sich kämpft oder sich auf Leidenschaften, körperliche Nähe, Liebe einlassen würde, dann hätte nicht er an ihr unrecht gehandelt, sondern sie an ihm, auch wenn sie wiederum es gleichfalls gut meint und ihn für „zu gut“ befindet. (Das passt natürlich auch zu dem zweiten Gedanken über die Starken und Schwachen, siehe gleich unten.)
Im Grunde geht es ihr nicht um die Menschen, die sie zu lieben glaubt, sondern alleine um ein Erproben der eigenen Persönlichkeit. Selbstfindung samt Scheitern.


Da zeigt sich dann auch wieder: Myschkin bildet unter den Menschen die reine Fläche ihrer eigenen Eitelkeiten. So wie sich bei Diderot der Pulk im Narren spiegelt und in seiner angeblichen Gesundheit besser fühlt, ist auch Myschkin nur Präsenz, um den Menschen fühlbar zu machen, sich über ihn selbst zu erschließen. Das ermöglicht er im Grunde allen Figuren, da er ja nicht dumm ist, sondern häufig auch zeigt, dass er die Dinge sehr klar und klug durchschaut.
Darum fühlt er sich auch nicht wohl zwischen den Menschen, weil er wie klares Wasser ist, während sie sich verstellen und die Unruhe ihrer selbst vorziehen, weil sie ahnen, dass dieses In-sich-Hineinhören, das Myschkin in aller Form für sich durchlebt hat und verkörpert, eine Bedrohung für sie ist, weil sie erkennen, niemals so sein zu können und es darum auch gar nicht erst wollen. Dass ist so, als ob der Mensch dann einfach die Verantwortung abgibt und sagt: „Ja, ich bin schlecht. Leider.“ und sich damit lieber quält, als, eben weil es in seine Macht steht, etwas zu verändern. Davon gibt es in Dostojewskis Romanen ja einige Figuren, die diese Seite des Menschseins verkörpern.

Natürlich ist und bleibt Fürst Myschkin ein Ideal, wie könnte er dann also lebensfähig oder lebensuntauglich sein? Er schämt sich ja sogar dafür, dass er, wenn er weiß, dass ihn jemand hintergeht, Recht behält, während er das einfach zulässt. Aber trotzdem kann man gerade durch diese Figur einiges lernen. Gerade durch das von Dostojewski geschaffene „Ideal“, das Myschkin verkörpert, wird sichtbarer, wann Menschen sich weigern, eigene Erkenntnisse aus ihren Erlebnissen und Erfahrungen zu ziehen, statt zu überlegen, was alles davon tatsächlich umsetzbar ist.

Dennoch erlebt Myschkin, sollte man in ihm die reine Figur näher betrachten, also den Menschen, auch viel Erschreckendes und ist zu seinen eigenen Erkenntnissen Schritt für Schritt vorgedrungen, so dass er nur so werden konnte, wie er ist, was er auch an vielen Stellen genauer definiert und begründet. Das ist vergleichbar mit wirklichen Menschen, die durch die Schwierigkeiten des Lebens zu einer eigenen Ansicht zu Welt und Mensch geraten, danach streben, durch das, was sie erlebt haben, sich selbst zu erkennen und besser werden zu wollen.
Und das, was Myschkin im Endeffekt als Grundkern vorlebt, ist das Verzeihen-Können, was durchaus jeder Mensch im realen Leben umsetzen könnte, da er dadurch nicht nur an sich selbst wächst, sondern sich auch durch das Vergeben jedes Mal besser fühlen wird, damit den inneren Schmutz hinauskehrt und das Verletzt-Sein überwindet. Gerade das Verzeihen besagt, dass jemand erkennt, dass ein Angriff nie die eigene Persönlichkeit (im Denken und Handeln) beeinflussen sollte, sondern dass derjenige, der verletzt hat, dafür die Verantwortung trägt und auch übernehmen muss. So braucht man auch keinem etwas nachtragen, denn es ist ja die Aufgabe des anderen, dies zu entdecken und an sich zu arbeiten. Jeder hat sein eigenes Gewissen zu tragen. Und genau das ist die Lehre des Romans, weshalb auch die Passivität nicht verletzt, sondern nur aufzeigt, über was der Mensch sich verletzt fühlt und wie er dagegen angehen kann.


Zitat von Krümel

Zitat von Vom Winde verweht
Aber du bist dazu geboren, jeden beherrschen zu wollen, der sich von dir unterkriegen lässt. Die Starken sind zum Beherrschen geboren und die Schwachen zum Unterkriegen. (Rhett Butler zu Scarlett)



Man kann auch beherrschen, in dem man die Schwächeren schützt und bewahrt ...




Aber das würde man dann Hilfe, nicht (Be)herrschen nennen. Der Starke, der sich bewusst darüber wird, jemanden, von dem er sieht, dass er schwächer ist, zu schützen, der beherrscht nicht mehr, sondern er gibt etwas von seiner Stärke ab.
Hat ja so auch schon Nietzsche formuliert: Die Schwäche des Starken ist das Mitgefühl für den Schwachen. Die Stärke des Schwachen, dass er Mitgefühl beim Starken auslöst. Das Aufeinandertreffen wird dann wohl immer von Stark und Schwach bestimmt, was aber nicht bedeutet, dass jeder in seiner Rolle feststecken muss oder sie ihm mitgegeben ist. Jeder kann sich ja auch jeder Zeit ändern. Darum denke ich auch nicht, dass alleine die Verantwortung, die der Starke durch seine Hilfe dem Schwachen abnimmt, ihm letztendlich nützlich ist. Sie hilft nur im Augenblick des Schutzes, stärkt den Schwachen nicht, da er weiß, sich auf die Hilfe verlassen zu können.
Jemand, der beherrscht, indem er jemanden schützt, der nützt im Endeffekt nur sich selbst, auch wenn es wie Rettung aussieht. Und, wie Patmos auch schon angedeutet hat, muss der, der durch Beherrschen alle Verantwortung des Schutzes übernimmt, wirklich wissen, was er tut und nur das Beste wünschen. Wie aber soll ein Mensch wissen, was gut für den anderen ist, bezogen auf dessen Leben? Macht nicht jeder für sich die Erfahrung, was gut für ihn ist? Kann einem ein anderer diese Verantwortung denn tatsächlich abnehmen?
Und der, der beherrschen will, auch wenn er Schutz bietet, bewahrt dieser den anderen denn wirklich oder beherrscht er ihn durch seinen Schutz?



Liebe Grüße
Taxine




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 10.01.2013 01:28 | nach oben springen

#154

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 10.01.2013 11:47
von Krümel • 499 Beiträge

Zitat von Taxine
Und, wie Patmos auch schon angedeutet hat, muss der, der durch Beherrschen alle Verantwortung des Schutzes übernimmt, wirklich wissen, was er tut und nur das Beste wünschen. Wie aber soll ein Mensch wissen, was gut für den anderen ist, bezogen auf dessen Leben? Macht nicht jeder für sich die Erfahrung, was gut für ihn ist? Kann einem ein anderer diese Verantwortung denn tatsächlich abnehmen?
Und der, der beherrschen will, auch wenn er Schutz bietet, bewahrt dieser den anderen denn wirklich oder beherrscht er ihn durch seinen Schutz?



Als Mensch kann man nie wissen, ob eine Entscheidung gut oder schlecht ist, ob für sich selber oder für andere. Ich würde anderen auch nie einen Vorwurf machen, wenn sie aus gutem Grund so oder so gehandelt haben, entschieden haben, das Beste wollten. Und so kann ich es auch nicht akzeptieren, wenn Myschkin nie den Versuch startet (du hast ja Recht Taxine, beide Frauen wollten etwas anderes von Myschkin als er geben konnte, sie pressten ihn in ein Bild) es den Damen einfach zu sagen, mehr war es ja nicht. Das ist es, was mich immer an ihm gestört hat. Er kann so sein, er darf so sein, ein unerreichbares Ideal, ABER er darf andere nicht mit in SEIN Unglück ziehen, und dazu auch noch wissend (wie ihr Zwei so schön sagt). In mein Unglück laufe ich gefälligst allein, so viel "Stärke" muss sein

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#155

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 10.01.2013 17:37
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

Entschuldigt bitte den kurzen Einschub in den philosphisch philanthropischen Diskurs. Ich möchte nur kurz meine profane Freude über erweiterten Besitzstand mit(teilen).

Heute in der Post:
Eine Dostojewski-Biographie.
Bei der Bestellung dacht ich an einen Irrtum des Verkäufers, denn ich hatte noch NIE etwas von dem Buch gehört. Aber um auf Nummer Sicher zu gehen, habe ich es bestellt. Und tatsächlich: es gibt sie und ich habe sie!

Da müssen die Briefe eines Juden an Dostojewski wohl in die Warteschleife . . .


www.dostojewski.eu
zuletzt bearbeitet 10.01.2013 17:40 | nach oben springen

#156

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 11.01.2013 09:45
von Patmöser • 1.121 Beiträge

Karamasow wieder angeblättert..., so lange Dostojewski erzählt und beschreibt ist er ein außergewöhnlicher Meister, aber wehe, wehe die Leute beginnen zu erzählen, zu diskutieren, zu schwadronieren, zu argumentieren... Dann hat es so seine Wüsten. Warum immer diese fieberhaft epischen Längen? In dieser zügellosen Geschwätzigkeit sehe ich, oft, keinen wirklichen Sinn, es sei denn, die Russen sind so..., allerings, dann wäre Tschwechow ja schon ein Schriftsteller der genialisch moskowitischen Schweigegesänge!

(Taxinchen, dein Part!)

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#157

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 11.01.2013 14:16
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

Zitat von Krümel
Er kann so sein, er darf so sein, ein unerreichbares Ideal, ABER er darf andere nicht mit in SEIN Unglück ziehen, und dazu auch noch wissend


Aber inwiefern tut er das? Und was betrachtest du als "sein Unglück"?
Myschkin ist nicht so sehr wissend, er hat für sich nur die Freiheit gewählt, so, wie er ist, unter Menschen zu sein. Das ist kein Unglück. Vielleicht meinst du seine Krankheit?

Zitat von Jatman1 im Beitrag #155
Entschuldigt bitte den kurzen Einschub in den philosphisch philanthropischen Diskurs. Ich möchte nur kurz meine profane Freude über erweiterten Besitzstand mit(teilen).

Heute in der Post:
Eine Dostojewski-Biographie.
Bei der Bestellung dacht ich an einen Irrtum des Verkäufers, denn ich hatte noch NIE etwas von dem Buch gehört. Aber um auf Nummer Sicher zu gehen, habe ich es bestellt. Und tatsächlich: es gibt sie und ich habe sie!

Welche ist es? Bitte um nähere Angaben.

Zitat von Patmos
Karamasow wieder angeblättert..., so lange Dostojewski erzählt und beschreibt ist er ein außergewöhnlicher Meister, aber wehe, wehe die Leute beginnen zu erzählen, zu diskutieren, zu schwadronieren, zu argumentieren... Dann hat es so seine Wüsten. Warum immer diese fieberhaft epischen Längen? In dieser zügellosen Geschwätzigkeit sehe ich, oft, keinen wirklichen Sinn, es sei denn, die Russen sind so.



Nein, das ist kein typisch russischer Zug, es ist alleine ein typisch dostojewskischer Zug.




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 11.01.2013 14:16 | nach oben springen

#158

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 11.01.2013 15:00
von Patmöser • 1.121 Beiträge

Zitat von Taxine im Beitrag #157


Zitat von Patmos
Karamasow wieder angeblättert..., so lange Dostojewski erzählt und beschreibt ist er ein außergewöhnlicher Meister, aber wehe, wehe die Leute beginnen zu erzählen, zu diskutieren, zu schwadronieren, zu argumentieren... Dann hat es so seine Wüsten. Warum immer diese fieberhaft epischen Längen? In dieser zügellosen Geschwätzigkeit sehe ich, oft, keinen wirklichen Sinn, es sei denn, die Russen sind so.


Nein, das ist kein typisch russischer Zug, es ist alleine ein typisch dostojewskischer Zug.



Danke Taxinchen, nun ist die Welt wieder heil und fein!

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#159

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 11.01.2013 21:36
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

"Welche ist es? Bitte um nähere Angaben."
Habe mir das Posting nochmls durchgelesen. Tschuldigung. Vor lauter Freude habe ich das Wesentliche glatt vergessen. Es ist eine Biographie von Konrad Onasch!
Und - meine Begeisterung hält an. Ich habe sie inzwischen "eingesogen". Ein Genuss!

Was kann ich zu ihr sagen?! Erst mal was Einfaches: sie umfasst 147 Seiten.
Sie ist kaum geeignet für Leser, die Dostojewskis Lebenslauf nicht bereits gut kennen. Weshalb.
Es ist eine Chronologie. Eine Dokumentation. Hiermit meine ich die Form.
Es wird das Datum angeführt und dahinter findet sich das Ereignis / der Sachverhalt. Oft nur in einer Art Anstrich / Wortgruppe / Halbsatz
Also kein belletristisches Fahrwasser.
Man findet jedoch auch wiederholt ausformulierte Textteile.

Das System ist ganz klar an dem Ansinnen des Buches ausgerichtet. Der Untertitel macht es zweifelsfrei klar: „Materialsammlung zur Beschäftigung mit religiösen und theologischen Fragen in der Dichtung F. M. Dostojewskis“

Und nur adäquat zur Intention des Untertitels sind ausformulierte Textteile zu finden.
Wer schon mal Onasch gelesen hat, könnte dies, wenn nicht abschrecken, aber doch zumindest etwas beunruhigen, denn er geht in den anderen mir bekannten Büchern über Dostojewski SEHR in theologischen Tiefen, dass mir nicht selten die Luft aus blieb und ich erst einige Seiten später wieder im Text Fuß fassen konnte. Entwarnung – hier ist es nicht an dem. Diese ausformulierten Texte sind selten länger als eine halbe Seite. Sie sind interessant und völlig nachvollziehbar; auch ohne Theologiestudium oder Gewandtheit im Umgang mit dem biblischen Text. Und nie erscheinen sie obsolet. Die Intention der Mini-Exkurse erschließt sich einem in jedem Fall.

Für mich waren viele neue, abweichende, ergänzende Informationen zu finden. Das führt wieder zum Kramen in weiteren Büchern. Keine erheblichen Dinge – aber for maniacs like me schon. Das dünne Büchlein ist mit Textstellen markierenden Klebezettelchen gespickt. So z. B. hat Dostojewski das Alphabet bereits schon an Hand der Bibel von seiner tiefgläubigen Mutter gelehrt bekommen. (Ja, ich finde sowas interessant.)

Das Buch ist absolut nach meinem Geschmack. Weshalb erklärt unter anderem ein Satz aus dem Vorwort, der mir aus dem Herzen spricht und den Onasch sympathisch werden lässt: „Nicht irgendein unklarer `Mythos von der russischen Seele` sondern der Dichter Dostojewski soll hier erschlossen werden.“

Onasch hat etwas vollbracht, was fast unmöglich scheint: Er hat Schwerwiegendes geschrieben ohne dass es schwergewichtig oder schwerfällig daherkommt, sondern leichtfüßig.
Hätte ich übrigens nach den anderen Büchern nicht erwartet. Obwohl, dass er es kann, hat er in einem Artikel in dem Periodikum „Sinn und Form - Beiträge zur Literatur“.

In seinen anderen Büchern lässt er ja Dostojewskis Familiengeschichte bereits anklingen. Hier hat er es ausgebaut. Auf fünf Seiten widmet er sich den Ahnen Dostojewskis; zurück bis 1506. Da muss selbst ich das Segel des Interesses streichen. Faszinierend war dieser Rückblick trotzdem.

Das Büchlein weist ein Namensregister und ein Werksregister auf. Die Quellenangaben sind umfänglich, akribisch und unmittelbar im Text angeführt. Nachträge zu verschiedenen Fakten findet man ebenfalls im Anhang. Das Literaturverzeichnis versteht sich von selbst.

Für den Fall, dass Ihr drüber stolpert und mal ein Buch über Dostojewski haben möchtet, wie es nur annähernd kein zweites gibt, dann seid ihr bei diesem Teil einfach nur an der richtigen Stelle.


www.dostojewski.eu
zuletzt bearbeitet 11.01.2013 21:37 | nach oben springen

#160

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 12.01.2013 14:36
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

Interessant. Vielen Dank für die Ausführlichkeit. Mir gefielen ja auch seine "überladenen" Sachen, aber ich bezweifle, dass mir dieses Buch rein zufällig in die Hände fällt. Es ist wahrlich schwer zu bekommen.




Art & Vibration
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#161

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 12.01.2013 14:38
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

Zitat von Patmöser im Beitrag #158
Danke Taxinchen, nun ist die Welt wieder heil und fein!




Dostojewskis Figuren neigen wirklich häufig und in all seinen Romanen zu einer geschwätzigen Länge. Das stimmt schon. Für mich schließt sich der Kreis auch immer erst, wenn ich das Buch dann zuschlage oder mich gewisse Stellen, die mich umhauen, über den Rest weitertragen.




Art & Vibration
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#162

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 13.01.2013 14:08
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

"und in all seinen Romanen zu einer geschwätzigen Länge"

Es ist nicht auszuschließen, das dies ein bewußtes Mittel gewesen ist. Faktisch hat er ja immer literarische Soaps geschrieben. Er musste immer entsprechende Menge Text in bestimmtem Zeitraum bringen. Weiterhin galt es den Leser möglichst lange hinzuhalten. Wer sein Leben lang für Zeitschriften in Episoden also Folgeteilen schreibt, an dem kann meines Erachtens diese Notwendigkeit auch nicht spurlos vorübergehen, auch wenn er Dostojewski heißt. Dass Dostojewski nur so geschrieben hat um seine Ideen zu verkaufen darf man nicht annehmen. Er wusste schon was er tat (zumindest beim Schreiben ;-).

Wer mag - ein Spitzentext in dieser Richtung: DIE GRUENDE FÜR DIE WIRKUNG DOSTOJEWSKIJS

Seine Tagebücher haben meinem Empfinden nach keineswegs die Längen, oder Patte so schön schreibt, Wüsten seiner Romane.

"seine "überladenen" Sachen"
Ja, das ist nicht die richtige Wortwahl. Nur weil ich intellektuell überfordert bin, ist da ja nicht zwangsläufig eine Überfrachtung.


www.dostojewski.eu
zuletzt bearbeitet 13.01.2013 14:10 | nach oben springen

#163

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 13.01.2013 15:19
von Patmöser • 1.121 Beiträge

Zitat von Jatman1 im Beitrag #162
Faktisch hat er ja immer literarische Soaps geschrieben. Er musste immer entsprechende Menge Text in bestimmtem Zeitraum bringen. Weiterhin galt es den Leser möglichst lange hinzuhalten. Wer sein Leben lang für Zeitschriften in Episoden also Folgeteilen schreibt, an dem kann meines Erachtens diese Notwendigkeit auch nicht spurlos vorübergehen, auch wenn er Dostojewski heißt.


Mhhh, ja, na dann der Gegenbeweis, das es auch anderes geht und das mit nur einem, heilig heheren Worte - Tschechow!

Tschechow wurde auch durch die Zeitung groß, als genialer Novelistikus, sozusagen, aber etwas längeres hatt er eigentlich nicht geschrieben, gut, die Steppe und - Die Insel Sachalin.
Und gerade die Kürze ist es wohl, in seinen Erzählungen, dieses gedrängt dramatische auf den Punkt kommen, auf den Punkt bringen, ohne Deutungen, mit dieser und seiner gerade so ver und beängstigenden Nüchternheit, mit seiner bis zum äußersten und bis zum letzten vorgelebten Humanität, das ist es, was mich an Tschechow immer wieder fasziniert.

Deshalb und nach einem durchaus langen und erfahrungsfreichen Leseleben - Tschechow sagt und schenkt mir bedeutend mehr, auch und unbedingt in seinem vorbildlichem Menschssein, als Dostojewski, als Tolstoi. Und allein Puschkin läuft bei mir außer jeglicher - Konkurrenz!

Ich stehe nun hier und gestehe es und gebe es zu: auch die "Neulesung", der forschend neue Anlauf, zu Dostojewskis Werk hin, hat mir auch und wieder nicht das geschenkt, was ich mir erhofft habe. Und es hat nichts mit seiner Religiösität zu tun, denn diese liest sich bei Leskow oft kritischer, bedenklicher aber dafür fieberloser, vielleicht ist's auch nur die Art seines Schreibens, seines Wirkens, seines ewig ausufernden Lamentierens, ich weiß es einfach nicht zu sagen.

(Und außerdem gibt es, gerade von den "nachgeborenen Russen", so manchen großen Schriftsteller, den ich viel lieber lese, lieber habe, als Dostojewski.)

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#164

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 13.01.2013 15:58
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

"Mhhh, ja, na dann der Gegenbeweis,"
Ich weiß, wie ich meine Mutmaßung noch retten kann: Tschechow ist die Ausnahme, die die Regel bestimmt.

"vielleicht ist's auch nur die Art seines Schreibens, seines Wirkens, seines ewig ausufernden Lamentierens"
gut vorstellbar. Wie in den Tiefen des Threads ja schon mehrfach anklang, komme ich auch nicht mehr ran. Noch mehr - mich wundert es sehr, dass ich tatsächlich alles von ihm gelesen habe. Derzeit schlicht weg nicht vorstellbar.

Vielleicht für Dich von Interesse:
In Sachen Tschechow habe ich vor einiger Zeit ein neuzeitliche Biographie der besonderen Art gelesen. Eine Engländerin oder Amerikanerin wandelt vor Ort auf Tschechows Spuren. So mischt sich die Jetztzeit mit Tschechows Lebensstationen. Phasenweise war das Buch interessant. Der Haken - wer Tschechows Biographie nicht kennt, steht mit vielem beim Lesen im Dunkeln. Wer aber die Biographie kennt, sollte mit dem Buch viel Freude haben. So zumindest meine Annahme.
Ich habe schon gekramt und finde es einfach nicht. IRGENDWANN habe ich Ordung, System oder ähnliches :-( Ich schau mal weiter. Immerhin habe ich dabei ein verschollen geglaubtes Buch meiner Tochter gefunden. Ich heb dann den Arm, wenn ich es gefunden habe.

"Und gerade die Kürze ist es wohl, in seinen Erzählungen, dieses gedrängt dramatische auf den Punkt kommen, auf den Punkt bringen, ohne Deutungen, mit dieser und seiner gerade so ver und beängstigenden Nüchternheit, mit seiner bis zum äußersten und bis zum letzten vorgelebten Humanität, das ist es, was mich an Tschechow immer wieder fasziniert."
Das klingt als könnte es was für mich sein. Noch nie Tschechow gelesen. Mit was soll ich beginnen?


www.dostojewski.eu
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#165

RE: Dostojewski 2

in Die schöne Welt der Bücher 13.01.2013 16:19
von Patmöser • 1.121 Beiträge

Zitat von Jatman1 im Beitrag #164

Das klingt als könnte es was für mich sein. Noch nie Tschechow gelesen. Mit was soll ich beginnen?


Sei fest umarmt, mein Bruder im Geiste!

Ja, wo beginnen. Ich würde sagen, mit dem Krankenzimmer Nr. 6, eine seiner schon späteren Erzählungen (1892), allein darin ist der ganze Tschechow, mit all seiner Tragik, voll und ganz enthalten!
Aber ich würde trotzdem sagen, lies Tschechow von seinen sehr anekdotisch humorigen, aber trotzdem immer nachdenklichen Erzählungen, einfach von Anfang an. Also von Antoscha Tschechonte hin zu Anton Tschechow! Obwohl schon in seinen frühen Erzählungen schon so manch reiner Diamant enthalten ist, hier dann Gram (1886) und natürlich in vielen, vielen anderen Kleinoden.
So kannst du auch das humanistische, oder das geistige Reifen dieses großen Menschen mit verfolgen und zwischendurch immer wieder einmal in den Briefen schnuppern!

Es wird Monate dauern, aber in dieser Zeit ist man gefeit und geschützt vor so manch intellektuellen, posthumanen Schinken, wo man sich dann, hinterher, einfach nur in den Arsch beißen möchte, ob der verplemperten Zeit.

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