HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
|
"Die Bildunterschrift wird wohl der Ausgabe des Totenbuchs entnommen sein."
Sehr unwahrscheinlich. Das bIld ist dort lediglich auf dem Cover; ohne Bildunterschrift oder ergänzenden Text. Ich habe die Bildunterschrift auch nur aus dem Netz.
Ob er nun Ähnlichkeit mit Dostojewski hat oder nicht - es bleiben Deine ZWEI Einwände. Ich hatte ja bisher immer nur einen. Dieses Klischee-Bildnis Dostojewskis hat sich offensichtlich gedanklich fast verselbstständigt, denn dass Dostojewski als er im Lager war, noch garnicht so alt war, ist mir garnicht bewusst geworden. Gratulation zu der sehr naheliegenden Feststellung, die ich bisher noch nicht getroffen hatte. Ist ja fast beschämend.
Zudem sahen die im Lager ja auch anders aus. Die hatten fast alle zu Hälfte kahl geschorene Schädel und nicht wenigen wurde entsprechend ihrer "Klassifizierung" im Lager ein entsprechender Buchstabe mitten ins Gesicht gebrannt.
Jetzt mit deiner essentiellen Ergänzung, handelt es sich um keine Vermutung mehr, sondern um eine sehr sichere Feststellung, dass das Bild vermutlich sogar nicht echt sein kann. Denn in dem Lebenszeitraum, da Dostojewski so aussah, wie auf dem Bild, befand er sich zu keinem Zeitpunkt mehr in einer solchen "Gemeinschafts-Unterkunfts-Lage".
Für eventuelle Mitleser ein Bild Dostojeskis mit belegbarer Datumsangabe aus dem Jahre 1859, also einigen Jahren nach Omsk. Ich muss echt schmunzeln, dass dieser gravierende Fehler bisher an mir vorbeigegangen ist.
Gut, dann auch ich ein Zitat:
Joseph Conrad bekam Die Brüder Karamasow 1912 geschenkt und antwortete dem Schenker (Edward Garnett), das Buch sei für ihn sehr interessant, jedoch furchtbar schlecht, "ein unmöglicher Klumpen wertvollen Stoffes", kurz Dostojewski seim ihm "zu russisch".
Ist das nicht herrlich!
www.dostojewski.eu
Ein wunderschönes Bild, dass ich nun auf meiner Tolstoi/Dostojewski-Seite benutzen darf.
(c) Riccardo Maniscalchi
www.dostojewski.eu
Ein interessanter Gedanke zum Grandiosus Nabokov
Neben Dostojewski kommt wohl auch Thomas Mann bei Nabokov nicht gut weg. (Das macht mir Nabokov noch angenehmer )
"Mit Bezug auf ein gewisses Sendungsbewusstsein gibt es Ähnlichkeiten zwischen Mann und Dostojewski. Beide waren `engagierte ` Schriftsteller. Auch hier könnten Nabokovs Vorbehalte eine Grundlage haben."
Gerd Wolandt; Einige Notizen über Dostoevskij im Werk Thomas Mann
www.dostojewski.eu
In seinen Briefen kann man jederzeit mal herumblättern. Die lese ich vielleicht nochmal. Tu es eigentlich "ständig", aber eben nur fragmentarisch. Die Briefe habe ich zu einem Zeitpunkt, in einem Zuge gelesen, da ich Vita-technisch noch nicht so im Bilde war. Da habe ich vieles gar nicht registriert. So stelle ich zumindest jetzt beim Stöbern fest. Auch aus seinen Briefen kann man die Wahrheiten wählen, die man möchte. So mal ein "neutrales" Zitat:
3. Juni 1870 an Strachow
„In der Philosophie bin ich etwas schwach, aber nicht in der Liebe zu ihr; da bin ich stark.“
www.dostojewski.eu
Dostojewskis Vorname Fjodor, ist ins Deutsche zu übersetzen mit Theodore. Das wiederum bedeutet zurückverfolgt soviel wie "Geschenk Gottes".
Passender geht`s nimmer.
Heute scheint Dostojewski-CrossOver-Tag zu sein
www.dostojewski.eu
@ jatman1
denk mal an Drewermann, der sinngemäß gesagt hat, dass irgendwann die Phase im Leben kommt, in der man die Werke Dostojewskis einfach braucht, weil der wie kein anderer die Regungen der Menschenseele kennt und es wagt, darüber zu schreiben. Es ist -zugegeben- wohl eine Phase, in denem man im tiefen Inneren wohl ein Gefühl hat, einsam im Sinne von "unverstanden" zu sein.
"Das Erlebnis führt Dostojewski zu ..." hat Stefan Zweig geschrieben; Taxine hat Recht wenn sie von der Notwendigkeit eines emotionalen Zugangs schreibt.
@ Taxine
bei Dir habe ich den Eindruck, dass Du eine Eigenschaft hast, die notwendig ist, um Dostojewski zu schätzen: man muss sich für kostbare Augenblicke krumme Zeilen gerade lesen können. (Vielleicht finden sich in der Fülle Deiner Gedanken treffendere Formulierungen).
"Und eben jenes "krumme Zeilen gerade lesen können" ist wohl nicht meine Begabung. Zwischen den Zeilen lesen, hinter den Zeilen lesen klingt zwr wie Synonyme für den gleichen Sachverhalt, sind es aber nicht unbedingt. Dostojewski Zeilen / Messages müssen erst grade gerückt werden, vevor man zwischen oder hinter ihnen lesen kann. Und so fehlt mir bei Dostojewski halt die "Basis-Fähigkeit".
Drewermann übrigens richtet seine krummen Zeilen nicht selten selbst wieder gerade. Deswegen kann ich ihm wohl auch folgen.
"dass irgendwann die Phase im Leben kommt, in der man die Werke Dostojewskis einfach braucht" ist sehr poetisch formuliert. Glaube nicht, dass mich es treffen wird. Wenn doch, steht hier ja alles rum und wenn im Altersheim der Platz nicht reicht, gibt es bei Amazon immer noch einen Stick mit all seinen Werken.
www.dostojewski.eu
RE: Dostojewski 2
in Die schöne Welt der Bücher 13.11.2012 19:40von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Krumme Zeilen im Sinne einer philosophischen Verborgenheit in Dostojewskis Werken finde ich nicht. Höchstens krumme Zeilen, wenn er zu detailliert schreibt oder alle möglichen Gedanken in alle Richtungen streut, was aber eigentlich auch nicht so tragisch ist. Sein Stil ist eben schwerlastig und ruhelos, dazwischen geraten hin und wieder Passagen, die auch genauso gut hätten weggelassen werden können, aber das liegt eben daran, dass er ganz einfach Abgabetermine hatte und den Vorschuss wieder ausgleichen musste. (Trotz Verschuldung war er da ja nahezu vorbildlich.) Er konnte also nicht immer, wie er es wünschte, durchkürzen.
Oder wie Dostojewski es selbst formulierte:
Zitat von Dostojewski "Briefe
"Man richtet alles zu Grunde: Talent, Jugend und jede Hoffnung. Die Arbeit wird einem zuwider, und schließlich wird man zu einem Schmierer, hört man auf Schriftsteller zu sein."
Das trifft natürlich überhaupt nicht zu, denn Dostojewski hatte die Angewohnheit, sich schlechter zu machen als er war. (Übrigens auch bei diesem Zitat:
Zitat von Jatman
3. Juni 1870 an Strachow
„In der Philosophie bin ich etwas schwach, aber nicht in der Liebe zu ihr; da bin ich stark.“
... )
Im Grunde hat er seinen eigenen Weg der Übermittlung seiner Gedanken und Hinterfragungen gefunden. Um all das herum schuf er Welten, die sich um diese Hinterfragungen schlossen und "schmierte" höchstens im Sinne, manche Sätze besser gestaltet haben zu können, hätte er nur mehr Zeit gehabt. Aber es ist eben auch genau dieses Rasende, was mich häufig so an seinen Romanen fasziniert, dieser unabdingbare Treiben nach vorne.
Philosophiert hat er reichlich, auch schon in ganz jungen Jahren, da schrieb er an den Bruder:
Zitat von Dostojewski "Briefe
„Um mehr zu wissen, müsste man weniger fühlen und umgekehrt“ – das ist eine übereilte Behauptung, eine Fieberphantasie des Herzens. (…) Die Natur zu erkennen, die Seele, Gott, die Liebe … das alles wird durch das Herz erkannt, keineswegs durch den Verstand. Wären wir Geister, so würden wir in der Sphäre jenes Gedankens leben und weben, über der unsere Seele schwebt, wenn sie sich enträtseln will. Wir aber, wir Staub, wir Menschen, wir müssen erraten, und wir können dabei nicht auf einmal den Sinn erfassen. Der Führer des Gedankens durch die irdische Hülle hindurch in den Bestand der Seele ist der Verstand. Er ist eine materielle Fähigkeit – die Seele aber (oder der Geist) lebt von dem Gedanken, den ihr das Herz zuflüstert … der Gedanke entsteht in der Seele .Der Verstand dagegen – ist lediglich ein Werkzeug, bloß eine Maschine die nur durch das Fenster der Seele in Bewegung gesetzt werden kann …“
Die philosophischen Gedanken bei Dostojewskis großen Romanen sind keineswegs hinter oder zwischen den Zeilen verborgen und müssen erst herausgelesen werden, sie sind, im Gegenteil, ganz explizit sichtbar, sowohl in der Handlung seiner Figuren, ihren Hinterfragungen oder eben seinen Gedankenfluten.
Sein vordergründiges Anliegen war eben der Mensch und seine Selbstverantwortung und Unabhängigkeit von Zwängen, Aberglaube und Gott. Er suchte einen Weg, wie der Mensch sich von diesen Glaubensketten lösen und stattdessen alleine, aber dann umso besser zurechtkommen könnte, als ein Besinnen, dass der Mensch nur sich selbst hat und darum näher zusammenrücken und füreinander da sein muss. Auch Glaube ist bei ihm nur geistige Ausrede, wenn der Mensch nicht danach handelt. Letztendlich war auch Dostojewskis "Atheismus" eine Religiosität, die darauf ausgerichtet war, den Menschen zu befreien, ihn auf seine tiefsten Abgründe zu stoßen. Der Mensch soll nach ihm Gestalter seines eigenen Schicksals werden.
Sein Grundgedanke wiederholt sich abgewandelt in all seinen Romanen. Wäre der Mensch in der Lage das Paradies schon als jetziges Leben anzuerkennen, würde sich sein Dasein schlagartig verwandeln und er würde aufhören, den Menschen durch den Menschen zu bekämpfen.
Die Erwartung der Religion auf eine Erlösung nach dem Tod entfernt den Menschen von sich selbst und nimmt ihm seine Verantwortung. Besser ist nach Dostojewski eben ein Handeln ohne Hoffnung auf Belohnung, bis das Leben selbst den Menschen belohnen wird.
Zu Nabokov: Seine Ansicht und Abneigung für Dostojewskis Werk ist eigentlich verständlich. Nabokov war ein reiner Ästhet und Stilist. Seine Werke sind nicht besonders tiefgründig, sondern zeichnen sich vor allen Dingen durch Ideenreichtum und Überraschungseffekte aus. Jemand wie Dostojewski, der um seine Philosophie einfach ein paar Handlungen baut, ist für ihn natürlich Roman-technisch kein Erlebnis. Darum steht Nabokov auch eher auf Romane von Dickens oder Jane Austen. Für ihn muss etwas geschehen, und das in einer für den Leser überwältigenden Klarheit und Feinheit. Ihm geht es alleine um das perfekte Anlegen eines guten Romans. Dostojewski nutzte den Roman dazu, um etwas zu vermitteln, nicht alleine darum, eine verdammt gute Story zu erzählen, die dazu auch noch fesselnd gut angelegt und stilistisch grandios ins Bild gesetzt wurde. Da ist Nabokov ja wirklich einer der Besten.
Zitat von fedja im Beitrag #52
@ Taxine
bei Dir habe ich den Eindruck, dass Du eine Eigenschaft hast, die notwendig ist, um Dostojewski zu schätzen...
Wie gefällt dir das Werk Dostojewskis?
Art & Vibration
Bei Dir stehen die Dostojewskis völlig zu Recht im Philosophie-Regal. Ist ja auch die ideale Ergänzung zu Nietzsche. Der dürfte ja ebenfalls dort stehen.
www.dostojewski.eu
Zitat von fedja
denk mal an Drewermann, der sinngemäß gesagt hat, dass irgendwann die Phase im Leben kommt, in der man die Werke Dostojewskis einfach braucht, weil der wie kein anderer die Regungen der Menschenseele kennt und es wagt, darüber zu schreiben. Es ist -zugegeben- wohl eine Phase, in denem man im tiefen Inneren wohl ein Gefühl hat, einsam im Sinne von "unverstanden" zu sein.
"Das Erlebnis führt Dostojewski zu ..." hat Stefan Zweig geschrieben; Taxine hat Recht wenn sie von der Notwendigkeit eines emotionalen Zugangs schreibt.
@ Taxine
bei Dir habe ich den Eindruck, dass Du eine Eigenschaft hast, die notwendig ist, um Dostojewski zu schätzen: man muss sich für kostbare Augenblicke krumme Zeilen gerade lesen können.
"Krumme Zeilen gerade lesen können" das ist ein wirklich guter Ausdruck Mich rührt er an, so dass ich für mich diesen Satz bejahen kann. Allerdings in dem Sinne, dass mir das Lesen Dostojewskis Werke schwer fällt. Das kann wirklich "Arbeit" bedeuten, wenn man den emotionalen Zugang gerade nicht hat und so komme ich über kleine Werke nicht hinaus. Dass es diese Phasen im Leben geben wird, kann ich mir gut vorstellen. Dostojewski ist wahrlich ein philosophischer Dichter. Noch fehlen mir jedoch dieses innere Gefühl und der Wille, sich mit der Philosophie in seinen Werken auseinanderzusetzen.
--------------
[i]Poka![/i]
Zitat von Taxine im Beitrag #54
Krumme Zeilen im Sinne einer philosophischen Verborgenheit in Dostojewskis Werken finde ich nicht. Höchstens krumme Zeilen, wenn er zu detailliert schreibt oder alle möglichen Gedanken in alle Richtungen streut ...
Wie gefällt dir das Werk Dostojewskis?
Ich denke schon, dass seine Gedanken klar sind; allerdings wagt er sich auch an Fragen, die nicht so ohne weiteres zu beantworten sind. Das Leid Unschuldiger. Die Frage nach Glaubensgewissheit. Da läßt er in Dialogen Gedanken aufeinanderprallen, ohne dass ich immer zu behaupten wage, dass er sich deutlich für eine Seite positioniert. Und dennoch habe ich das Gefühl, ich komme bei D. Antworten näher als in vielen anderen Büchern. So meinte ich das mit
"krummen Zeilen gerade lesen".
Zur Frage wie mir das Werk gefällt. Dostojewski ist mein absoluter Lieblingsschriftsteller, wobei ich seine Bücher erst lückenhaft kenne. Die "Brüder Karamasov" habe ich zweimal im Abstand von etwa 10-15 Jahren gelesen.
Die Lektüre des "Idiot" ist eine Weile her. Myschkin und Aljoscha faszinieren mich. "Schuld und Sühne" und die "Aufzeichnungen aus dem Totenhaus" kenne ich und den "Spieler" natürlich sowie einige Frühwerke.
Ich lese nicht alles durchweg mit gleicher Begeisterung, aber jedes seiner Bücher wartet mit reichen Belohnungen auf für die sich alle Mühen lohnen. In den letzten Monaten habe ich mich intensiv mit der Biografie beschäftigt, viele seiner Briefe gelesen und auch die Berichte aus seiner Umgebung.
Da ist er mir eigentlich nochmal mehr ans Herz gewachsen. Ich staune einfach, wie er unter den schwierigen Bedingungen, die Du ja angesprochen hast, solche Bücher schreiben konnte.
Um manches so schreiben zu können, mußte er allerdings wohl genau durch die Leiden, Misslichkeiten und Einsamkeitserfahrungen gehen.
Dem Tode buchstäblich ins Angesicht geschaut zu haben und dann doch weiterleben dürfen; von der Spielsucht über Nacht "frei" zu sein, bei allen Widersprüchen und gebrochenen Vorsätzen doch immer wieder neu anfangen zu können und trotz der Erkenntnis um das eigene Unvermögen das Selbstvertrauen nicht zu verlieren ... ich glaube, solche existenziellen Erlebnisse erlaubten es ihm zum Beispiel, christliche Dogmen aufs Leben zu übertragen: was heißt Befreiung durch Buße und Vergebung; was bedeutet geistliche Wiedergeburt.
In Dostojewski finde ich -das klingt jetzt vielleicht pathetisch- meinen Bruder in Christo - glaubwürdig gerade durch seine Gebrochenheit.
RE: Dostojewski 2
in Die schöne Welt der Bücher 14.11.2012 00:38von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Zitat von fedja im Beitrag #57
Ich denke schon, dass seine Gedanken klar sind; allerdings wagt er sich auch an Fragen, die nicht so ohne weiteres zu beantworten sind. Das Leid Unschuldiger. Die Frage nach Glaubensgewissheit. Da läßt er in Dialogen Gedanken aufeinanderprallen, ohne dass ich immer zu behaupten wage, dass er sich deutlich für eine Seite positioniert. Und dennoch habe ich das Gefühl, ich komme bei D. Antworten näher als in vielen anderen Büchern. So meinte ich das mit
"krummen Zeilen gerade lesen".
Ja, da stimme ich dir unbedingt zu. Die Fragen, die er aufwirft, wirken auf mich häufig so, als würde Dostojewski sie während des Schreibprozesses durchdenken, wobei sie dann immer weiter dahintreiben, immer mächtiger werden, sich dehnen und zersplittern, dabei mit einer Gewalt auf den Leser übergehen, dass er gezwungen ist, sich mit diesen Fragestellungen noch einmal ganz neu auseinanderzusetzen. Auch einer der Gründe, weshalb mich sein Werk erreicht und sich in mir, sozusagen, regelrecht festgesetzt hat, ist die Vielfalt der Perspektiven, die er in seinen Figuren und in ihren Dialogen ermöglicht. Fragen, die durch Fragen verfeinert werden. Sichtweisen, die niemals alleine für sich eine Richtung aufweisen. Der Atheist steht dem Gläubigen gleichberechtigt gegenüber und umgekehrt. Nie wirkt eine Betrachtungsweise dieser beiden Kategorien lächerlich, ohne nicht gleichzeitig wunderschöne Gedanken zu enthüllen. Bei Dostojewski habe ich immer das Gefühl, dass er in einer zunächst grauen Welt nach und nach Schichten bloßlegt, unter denen die Fülle des Lebens hervorströmt. Man wird durch etliche aufgeworfene Gedanken und Fragen auf alle Seiten verwiesen, um ja nicht einseitigen Betrachtungen zu erliegen, und muss letztendlich seine Antwort alleine finden, um Leben, Mensch, Glaube, Schuld, Unschuld usw. so für sich zu beantworten, um vielleicht selbst danach leben oder sogar handeln zu können.
Ich denke überhaupt, ein Schriftsteller muss keine Fragen beantworten, er muss sie nur stellen. Darin ist Dostojewski in seiner Vielseitigkeit unschlagbar, auch darin, dass er niemals kundtut, welche Stellung er selbst bezieht. Bei den "Brüdern Karamasow" war die Gerichtsverhandlung z. B. ein gutes Beispiel, die verschiedenen Verteidigungreden der Anwälte, die aber jede für sich ihren wahren Kern enthielten. Das hat mich beim Lesen fasziniert, insbesondere dass kein Für- und Widersprecher per se aufgestellt wurde, sondern das Für sowohl positiv als auch negativ betrachtet wurde, als auch das Wider sich gleichermaßen darstellte und alle das Recht auf ihrer Seite hatten. Die Blickwinkel sind sicherlich auch mit ein Grund der zahlreichen Deutungen, dass aus einem gleichen Satz zwei völlig verschieden denkende Menschen dennoch ihre Sicht der Dinge bestätigt bekommen.
Auch die Themenvielfalt im Werk Dostojewskis ist unglaublich, wenn auch die Grundhinterfragung immer gleich bleibt: was ist der Mensch? Wieso ist er, wie er ist? Wohin führt sein Weg? Was ist seine Zeit? Weshalb darf er verurteilen oder sich das Recht herausnehmen, über einen anderen Menschen zu richten... usw. Und all das wird an ganz einfachen und alltäglichen Menschen vertieft, Beamte, Trinker, Raufbolde, ... all jene, die mit dem Leben ringen.
Kurz: Dostojewski stellt jene großen Fragen, die immer gestellt und nie befriedigend genug beantwortet oder umgesetzt wurden.
Zitat von fedja
In Dostojewski finde ich -das klingt jetzt vielleicht pathetisch- meinen Bruder in Christo - glaubwürdig gerade durch seine Gebrochenheit.
Was soll ich sagen ... Besser kann man es kaum formulieren.
(Hans Holbein der Jüngere "Der tote Christus")
Wenn du "Die Dämonen" noch nicht gelesen hast, ... die kann ich dir als nächste Lektüre sehr empfehlen, wenn dich mal wieder ein Werk Dostojewskis reizen sollte. (Am besten in der Übersetzung von E. K. Rahsin.)
Art & Vibration
Mal was Profanes dazwischen geschoben. Bezüglich meiner Anfrage des Bildes von Dostojewski im Lager, erhielt ich vom Spiegel konkret diese Antwort:
"Zu dem Foto liegen uns keine weiteren Informationen vor. Wir können Ihnen nur empfehlen, sich an die Agentur AKG in Berlin (http://www.akg-images.de/) zu wenden.Mit freundlichen Grüßen"
Da staune ich eine Runde, der Spiegel verwendet Bilder mit Untertiteln, deren Quellenlage ungeklärt und wie wir ja inzwischen wissen, fragwürdig ist. Außerden macht der Spiegel keine Aussage in welchem Zusammenhang, die Spiegelveröffentlichung mit dieser Agentur steht. Die wissen sicherlich weshalb sie sich so kurz fassen. Nun gut, jetzt ist die Agentur dran.
www.dostojewski.eu
RE: Dostojewski 2
in Die schöne Welt der Bücher 14.11.2012 23:57von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Das gibt es doch gar nicht. Ich werde mich bald wieder intensiver in die russische Lektüre stürzen. Das wäre doch gelacht, wenn ich nicht auf dieses verfluchte Bild stoße, das ich, da bin ich mir sicher, irgendwo gesehen habe. Da kann man ja wirklich verrückt werden. Ich weiß nur, dass es nichts mit Dostojewski zu tun hatte. Vielleicht verwirrt sich da auch die Zuweisung des Fotos bei allen Verlagen, Zeitungen u. a., da es fälschlich deklariert wurde und nun so im Umlauf ist. Vielleicht müsste man nur bei einem ganz anderen russischen Schriftsteller suchen ...
Art & Vibration