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RE: Dostojewski
in Die schöne Welt der Bücher 20.10.2010 21:36von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Irgendwie auch ein Wink des Schicksals, dass sie als Stenographin in sein Haus kommt, um mit ihm an seinem Roman "Der Spieler" zu arbeiten.
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RE: Dostojewski
in Die schöne Welt der Bücher 20.10.2010 21:43von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Was mir noch dazu einfällt: Dostojewskij hatte ja auch ständig seine Anfälle, nach denen er immer "so blaß und traurig" aussah, wie sie so schön schrieb. Dieser Mann musste für sie ein beständiger Wechsel an Persönlichkeit gewesen sein. Einerseits zornig und übermächtig und dann wieder zerbrechlich und klein. Sie war Unterworfene wie auch Bemutternde.
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Winks Winke? des Schicksals gab es ja reichlich. Sie ist ihm empfohlen worden und misstrauisch wie er war, musste er massiv überredet werden um zuzustimmen. Ihm hatten z.B. Freunde angeboten, aufgeteilt die Kapitel für ihn zu schreiben. Hat er auch abegelehnt. Auch eine Wink: Ihr Vater war Dostojewski begeistert und sie verehrte Dostojewski bevor sie ihn kannte. Und sie war sehr jung. War das Mitleid vielleicht auch genährt durch die Aussicht mit seinem Idol zusammenleben zu können?! Dass es so hart kommen würde, war ja nicht zu ahnen.
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Zitat von Taxine
Was mir noch dazu einfällt: Dostojewskij hatte ja auch ständig seine . . . .
Wieder kann ich nur zustimmen. Obwohl. Er war nicht nur blaß und traurig nach seinen Anfällen, sondern hochgradig ungenießbar schroff und grantig. Die Mitleidabteilung hielt sich da möglicherweise auch in Grenzen. Vielleicht war sie doch ein Vorfahre der Mutter Theresa.
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RE: Dostojewski
in Die schöne Welt der Bücher 20.10.2010 21:48von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Zitat von Jatman1
War das Mitleid vielleicht auch genährt durch die Aussicht mit seinem Idol zusammenleben zu können?!
Das auf jeden Fall. Sie gefiel sich in der künftigen Rolle als Frau des angesehenen Schriftstellers. Ja!
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Mutter Theresa war kein schlechter Joke. Es war keiner.Den Thresaanteil hatte Dostojewski ja eher als seine Frau.
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Um beim Thema Frau mal hängen zu bleiben.
Vielleicht klären wir, zumindest für uns, sogar noch auf welchen Frauentyp er stand bzw. welchen er favorisierte. Selbstbewußte fortschrittliche Frauen entsprachen seinem geistigen Ideal. Das einmal als gegeben angenommen, konnte er sich seinem Ideal persönlich kaum nähern. Es gab ja dahingehende Versuche. Die sind vermutlich nicht durch irgendwelche Unbilden gescheitert, sondern weil solch ein Deckel nicht zum Dostojewski passt. Wenn ich in einem Bauwagen lebe, kann ich total auf Panoramafenster stehen, weil ich ihren ästhetischen und praktischen Nutzen wertschätze. Es nützt mir nichts, in der Regel werde ich keine haben, weil die für mich zwangsläufig nicht in Frage kommen.
Wenn es so war, darf man dann annhemen, das es Dostojewski insgeheim klar wurde und er dann in Folge, ganz fließend sein Frauenbild verbrämt hat, weil es für ihn nicht erreichbar war? So dass er die Frau als Dienerin proklamiert hat. Die Frau in ihrem Bestreben selbstständig und nicht willfährig! So lief es ja oft aus seiner Feder.
Klingt doch prima. Wenn man jedoch den Kontext und den Texte um solche Aussagen herum betrachtet, scheinen diese Anforderungen und Begrüßungen eines solchen Frauenbildes nur ünter der Ägide des führenden Mannes. Und dann wären wir wieder bei seiner Ehe. Seine Frau: bestimmt, nicht willfährig, eigenverantwortlich, zielstrebig - aber eben letzten Endes mit all diesen Eigenschaften nur in seinem Sinne tätig und seinem Willen und Wünschen ergeben. Ähnlich spricht er begeistert von den Frauen die sich selbstbewusst und aus eigenen Stücken verpflichtet haben im russisch-türkischen Krieg ihr Leben einzusetzen um in Lazaretten zu pflegen.
(Da ist dann das Thema Dostojewski und Krieg. Ist jetzt aber nicht dran.)
Das würde doch prima in das Weltbild seiner zweiten Lebenshälfte passen, ebenso in das Bild, dem ich nur beipflichten kann: Dostojewski der Kleinbürger.
Ich hoffe du begehrst jetzt wieder auf. Das letze Mal waren es zweimal Nein mit Ausrufezeichen ;-)
Und wenn Du Dich am zugegebener Maßen harten Wort Kleinbürger stößt, kann man es noch weiter treiben, um die Intention dieser Meinung zu verstärken. Dostojewski beschreibt sich doch selbst als Proletarier der Feder. Er schrieb unter Druck für Geld für Auftraggeber (Vom Beginn mal abgesehen. Aber selbst zu Zeiten seiner Übersetzungen gibt es nur ein Ziel: Geld. Ich schweife ab). Dass sich sein Schaffen aus Leid in so vielen Facetten speist, macht sein Leben so außergewöhnlich. Dazu noch, dass er in lebenspraktischen Dingen ewig völlig unbewandert blieb. Ziehst Du das alles ab, bleibt ein kleinbürgerliches Leben und vor allen Dingen ein unentwegtes Streben danach. Davon "unabhängig" ist er unbesehen ein grandioser Schriftsteller gewesen.
Vielleicht sollte ich erst mal Deinen Kommentar zum Thema Frau abwarten. Ich komme ja von einem zum anderen - zu schnell. Das verkleistert teilweise Freiräume, auf deren Füllung durch Dich, ich ja so gespannt bin.
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RE: Dostojewski
in Die schöne Welt der Bücher 21.10.2010 21:24von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Zitat von Jatman1
Vielleicht klären wir, zumindest für uns, sogar noch auf welchen Frauentyp er stand bzw. welchen er favorisierte.
Ich denke, die einzig wirkliche und freie Wahl, die er in Bezug auf Frauen je getroffen hat, war die bei der Susslowa. Alle anderen Beziehungen scheinen sich durch äußere Umstände so ergeben zu haben. Ich schätze, Dostojewskij hat darüber nie viel nachgedacht und sich beinahe willenlos in das gefügt, was da kam.
Vielleicht wäre all das anders gekommen, wäre er nicht zum Tode verurteilt, dann begnadigt und nach Sibirien geschickt worden. Dort hat er seinen Frieden mit Gott gemacht. Auch da eigentlich ein Charakterzug, der über den Kleinbürger hinausreicht. Der Vergeben gelernt und die Schuld bei sich gesucht hat. Seine Ergebenheit zum Zaren könnte man ja fast schon anders nennen.
Sein Geschmack, wie auch seine eigenen Erfahrungen und Erlebnisse, spiegeln sich in seinen Figuren wider. Im "Idioten" z. B. Aglaja und Nastassia, die einander auch gegenüber gestellt werden. Die eine hat in ihrem Wesen etwas Düsteres und gleichzeitig in ihren Augen etwas Unschuldiges, die andere ist selbstsüchtig und weiß andererseits nicht, was sie will. Das, was sich immer abwechselt, sind Unschuld und Berechnung, Stärke und Schwäche. (Welcher seiner Romane ist eigentlich dein Favorit?)
Die Susslowa ist in "Die Erniedrigten und Beleidigten" verewigt. Sie ist ihm in ihren Gegensätzen erschienen: herrschsüchtig und schillernd und dann wieder naiv und kindlich. So sind viele seiner Frauenfiguren. Sie vereinen in sich eigentlich gegensätzliche Charakterzüge. Ich denke, das hat ihn an Frauen dann auch fasziniert. Bei Anna Grigorjewna kann man ähnliche Züge wahrnehmen.
Dostojewskij sehnte sich wahrscheinlich vordergründig nach einer Familie, wollte Kinder und eine gute (gutherzige) Frau, die sich um seine Kinder kümmert. In diesem Sinne hast du mit Kleinbürger-Denken sicherlich Recht.
Und ebenso damit, dass man hinter seinem Können und Sein als Schriftsteller die andere Seite nicht vergessen darf. Das passiert mir häufiger. Wenn ich "Kleinbürger" höre, sehe ich einen anderen Menschen vor mir, als es Dostojewskij war. Er brach auch zu häufig aus diesem Kleinbürger-Dasein aus. Und wer so schreibt, obwohl er damit Geld verdienen muss, der bleibt dann eben doch mehr Genie als Kleinbürger.
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Zitat von Taxine
Und weiter geht's:
Ippolits flammende Rede, dass es sich nicht mehr lohne zu leben, wenn es sowieso in wenigen Wochen zu Ende geht, dass er die Bücher wegschmeißt, weil es sich für die wenige Zeit nicht mehr rentiert, sich Wissen anzueignen, und sein Entschluss schließlich dem Ganzen selbst ein Ende bereiten zu wollen, führt in viele Überlegungen.
Was nimmt man mit? Was ist wichtig? Besteht das Recht zum selbstgewählten Tode nicht gerade dann, wenn es sowieso bald vorbei ist, oder sollte man vielmehr die wenige Zeit, wenn es sowieso zu Ende geht, noch auskosten?
In Sachen Selbstmord eine absolut faszinierende Abhandlung in der Form einer Antrittsvorlesung. Mit folgenden Schwerpunkten:
1. Muss man Suizid begehen?
2. Darf man Suizid begehen?
3. Will man Suizid begehen?
4. Kann man Suizid begehen?
Stoff vom Allerfeinsten! Stoff vom Allerfeinsten! Stoff vom Allerfeinsten!
Eine höchstprofessionelle Abhandlung, die keinen Standpunkt verteidigt oder rechtfertigt. Eine sachlich thematische Auseinandersetzung mit einem Thema. Zu schön, dass es noch Menschen gibt, die dazu in der Lage sind. Hatte ich schon gesagt: Stoff vom Allerfeinsten!
http://www.uni-potsdam.de/angewandte-eth...%20Stoecker.pdf
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RE: Dostojewski
in Die schöne Welt der Bücher 21.10.2010 21:58von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Wie der Zufall so spielt, fand ich soeben eine interessante Stelle, die mir Dostojewskijs Wesen irgendwie genau ins Bild setzt.
Sie stammt aus Rabindranath Tigore's "The King of the Dark Chamber" und wurde von Wittgenstein und Yorick Smythies übersetzt. Da heißt es in der Stimme der Dienerin:
Ich ging den Weg des Ruins und der Zerstörung. Als mir dieser Weg verschlossen war, schien ich keinen Beistand, keine Hilfe und keinen Schutz mehr zu haben. Ich wütete und tobte wie ein wildes Tier im Käfig - in meiner ohnmächtigen Wut wollte ich alles in Stücke reißen.
(...)
Es kam der Tag, an dem der Aufruhr in mir besiegt war und mein ganzes Wesen vor demütiger Resignation in den Staub sank. Da sah ich... sah ich, dass seine Schönheit ebenso unvergleichlich war wie seine Grausamkeit. Ich war also gerettet, ich war erlöst.
Das ist Dostojewskijs ständige, innere Zerrissenheit. Genau das. Zorn und Demut. Schwäche und Reue. Nur bei ihm wechselten die Zustände immer wieder.
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Suslowa ja.
Er wäre vielleicht auch ohne Sibirien zu Gott gelangt (was er ja zu seinem Bedaeuern nicht ist) Er ist ja absolut kirchlich erzogen worden. Sibirien war vielleicht diesbezüglich nur eine Art Teilchenbeschleuniger. In Sibirien hatte er keine andere Chance. Als Intellektueller brauchte er die geistige Aktivität und da war die geschenkte Bibel der Dekabristenfrau, vielleicht ein weiterer Wink des Schicksals.
"Erfahrungen und Erlebnisse, spiegeln sich in seinen Figuren wider" ja aber eben nicht seine Präferenzen, nicht mal mutmaßlich.
Da springt mich dein Eindruck der A-Sexualität Dostojewskis nochmals an. Möglicher Weise trifft genau das zu. Sexualität, wenn nur des Triebes wegen und die Versuche mit Frauen zusammenzuleben waren lediglich Unternehmungen, um sich einen der Grundpfeiler kleinbürgerlichen Lebens zu schaffen: die Ehe.
Als Quelle zur Beurteilung könnte, sollte nein muss man das Werk Dostojewskis zu Rate ziehen. Ich habe zwar alles gelesen, aber in der Richtung ist nichts hängengeblieben. Schon ein Weilchen her. Dostojewski hat in seinem Werk keinen einzigen Punkt privaten Lebens ausgelassen (grüßt hier Stawrogin?) um ihn dann mittels Werk eine Wertigkeit zukommen zu lassen. An die Begeisterung über selbstbestimmte fortschrittliche Frauen fehlt mir die Erinnerung.
Das bringt nicht weiter:
"Apollinaria Prokofjewnas widerspruchsvolle, reizvolle Schönheit, ihre diabolische, bacchantische Natur hat Dostojewski vielfach geschildert: Raskolnikows Schwester Dunja, Aglaja und Natalja Filippowna im Idioten, Polina im Spieler, Jekaterina Iwanowna in den Karamasows, Lisa in den Dämonen, Natalja Wasiljewna im ewigen Gatten und Achmachowajs im Jüngling." (Maurina, Zenta)
Es ist amüsant, wie wir uns unsere Wahrheiten gegenseitig suggerieren möchten. Obwohl gestern tatsächlich für mich ein Ergebnis stand.
Mein Lieblingsbuch: Schuld und Sühne, Die Dämonen, der Großinquisitor, Aufzeichnungen aus einem Totenhaus
Ich habe die Bücher gerne gelesen. Durch einige mich auch durchgequält (Der Jüngling). das war vor 15 bis 20 Jahren. Es wär längst an der Zeit sie neu zu lesen. Solange es jedoch etwas andres gibt, werde ich es nicht tun. Habe noch nie ein Buch zweimal gelesen. Ich bin kaum an seinem Werk hängengeblieben, sondern inzwischen an seiner Person und der Interpretation seines Werkes und Lebens.Da tobt man sich ganz schön aus. Finde ich immer wieder unterhaltsam. DU hingegen scheinst die Bücher ja nicht gelesen sondern inhaliert haben.
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Ja erstaunlich, was Du so per Zufall in der Hand hast ;-)
„in meiner ohnmächtigen Wut wollte ich alles in Stücke reißen.“
Wut ist ein Zustand den ich ihm eher nicht zuschreiben wollte, da gehört Aggressivität dazu. Da ist er nicht angekommen. Oder?
Ansonsten kann ich da gut mitgehen wenn es Momente seines Lebens beschreiben soll, nicht aber als Zusammenfassung seines Lebens.
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RE: Dostojewski
in Die schöne Welt der Bücher 23.10.2010 14:32von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Gute Bücher inhaliere ich immer. Bei Dostojewskij ist es allerdings auch schon eine Weile her. Im Moment befasse ich mich lediglich durch Rosanow mit seinen Büchern.
Ich denke schon, dass Dostojewskij auch aggressive Zustände hatte, wie man den Tagebüchern von Anna Grigorjewna entnehmen kann. Zumindest neigte er schnell zu Wutanfällen, in manchen Situationen, wenn sie diese nicht übertrieben dargestellt hat.
Für mich sind seine Werke: "Die Dämonen", "Die Brüder Karamasow", "Aufzeichnungen aus dem Kellerloch" und "Der Doppelgänger" absolute Highlights, die mich beim Lesen gepackt und völlig in die Zeilen gezogen haben. Ich bewundere Schriftsteller, die Figuren erschaffen, die unvergesslich bleiben, wie z. B. Stawrogin. Die düstere Atmosphäre an der Grenze zwischen Gut und Böse, die andere Russen zu dieser Zeit nie wagten zu übertreten (wie z. B. Tolstoi), umhüllt einen bei Dostojewskij völlig und zwingt in die Überlegung, warum ich sicherlich immer wieder auf seine Romane zurückkommen werde, wenn es an der Zeit ist.
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Ich habe einen kleinen Artikel gefunden, der Dostojewski und Tolstoi in ihrer Stellung innerhalb der Familie beschreibt. Da kommt Dostojewski auch als der liebe Papa rüber. Deine Sicht der Dinge wird dort untermauert. Der passt zu der der Sicht deiner Dinge. Könnte ich Dir sicherlich als pdf schicken wenn es geht und es dich interessiert.
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RE: Dostojewski
in Die schöne Welt der Bücher 23.10.2010 14:57von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Ja klar, mach' mal. Vielen Dank.
Du schreibst "meine Sicht". Wie denkst du darüber? War er nicht der "liebe Papa"?
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