HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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RE: Buchvorschläge/Erstes Kapitel
in Buchvorschläge 10.11.2007 14:38von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Auch Sibylle Berg wurde mir empfohlen. Wenn man sich Titel wie "Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot" oder "Sex II" vor Augen führt, kann man hier durchaus neugierig werden. Es heißt über sie, sie wäre eine "Fachfrau fürs Zynische und Fiese", und ein bissiger, humoriger Schreibstil ist immer schön.
"Fahrt" ist ihr neuer Roman, eine Suche nach Glück für die unterschiedlichsten Gestalten.
Art & Vibration
RE: Buchvorschläge/Erstes Kapitel
in Buchvorschläge 09.12.2007 21:25von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Stéphane Mallarmé: Gedichte
und auch in eine Biografie von Hans Therre: "Stéphane Mallarmé".
Mallarmé kam durch die Lektüre Hegels zu der Auffassung, dass, wenn „der Himmel tot“ sei, das Nichts der Ausgangspunkt des Schönen und Idealen sein müsse. Zu dieser Philosophie gehörte seiner Meinung nach eine in Rhythmus, Satzbau und Wortschatz neuartige Poesie. Über das L’art pour l’art der Dichter um Gautier hinausgehend sieht er in der poetischen Sprache einer reinen Dichtung die einzige Möglichkeit, zu reinen Ideen vorzudringen. Dieses äußert sich auch in Wortlaut und Klang, wo in der Aussprache eines Satzes verschiedene Deutungen und Assoziationen entstehen (z. B. können die Worte „ses purs ongles“ („ihre reinen Nägel“) beim Hören als „c’est pur son“ („das ist reiner Klang“) aufgefasst werden). Die wirklichkeitsnahe beschreibende Lyrik des Realismus lehnte Mallarmé ab, vielmehr betrachtete er die Suggestion als Grundlage der neuen Poesie.
Art & Vibration
RE: Buchvorschläge/Erstes Kapitel
in Buchvorschläge 09.12.2007 22:41von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Auguste Villiers de L’Isle-Adam und seine "Grausamen Geschichten" aufmerksam geworden. Bin gespannt, was mich da erwartet. Es heißt in "Gegen den Strich" nach aller Langweile von des Esseintes in der Literatur:
In Antwort auf:
Dann wandte er sich Villiers de l'Isle-Adam zu, in dessen verstreutem Werk er noch rebellische Beobachtungen, noch krampfhafte Schwingungen wahrnahm (...) Auf einem Unterbau obskurer, dem alten Hegel entlehnter Spekulationen tummelten sich verrenkte Wesen, ein Doktor Tribulat Bonhomet, feierlich und kindisch, eine Claire Lenoir, ulkig und unheilverkündend, mit blauen, runden Brillengläsern, so groß wie Hundertsousstücke, die ihre fast toten Augen verdeckten.
Art & Vibration
RE: Buchvorschläge/Erstes Kapitel
in Buchvorschläge 09.12.2007 23:09von Martinus • 3.195 Beiträge
Hallo,
Villiers de L’Isle-Adam ist ein alter Phantast, vielleicht so was wie ein französischer E.Th. Hoffmann. Ein paar Geschichten habe ich aus der Sammlung (Suhrkamp) gelesen. Ich mag ja so was.... Zu gruselig wird's nun auch nicht.
Liebe Grüße
Martinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
RE: Buchvorschläge/Erstes Kapitel
in Buchvorschläge 09.12.2007 23:12von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Neben Kien und seiner Bibliothek im Kopf (Canetti) ist mir des Esseintes sehr ans Herz gewachsen, aufgrund seiner echten, veredelten Bibliothek. Darin findet man wunderbare Vorschläge und Hinweise.
Auch hätte ich Lust auf Goncourts "Juliette Faustin".
Herzlich
Taxine
Art & Vibration
RE: Buchvorschläge/Erstes Kapitel
in Buchvorschläge 09.12.2007 23:25von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Art & Vibration
RE: Buchvorschläge/Erstes Kapitel
in Buchvorschläge 09.12.2007 23:27von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
RE: Buchvorschläge/Erstes Kapitel
in Buchvorschläge 11.04.2008 22:21von Martinus • 3.195 Beiträge
Wer sich an schöner Sprache ergötzen will (und mit wenig Handlung), dem empfehle ich „Der Augenzeuge“ von Alain Robbe-Grillet, der Urvater des „Nouveau Roman“. Hier werden die Charaktere nicht durch psychologisierende Inhalte geformt, sondern der Leser sieht alle Dinge im Detail, eine überschwengliche Wortmalerei, und Metaphern, sodass die Handlung (sehr wenig, ja) gar nicht so im Vordergrund scheint. Toll zu lesen. Man benötigt eine Dosis Konzentration (die wir alle haben) und begibt sich in die Geschichte; auf eine Insel mit Möwen, mit Wellen, die an die Felsen schlagen, mit einem Uhrenverkäufer und einem toten Mädchen.
Liebe Grüße
Martinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
RE: Buchvorschläge/Erstes Kapitel
in Buchvorschläge 23.08.2008 18:15von Martinus • 3.195 Beiträge
Eric Emmanuel Schmitt schreibt über religionsverbindende Elemente. In dieser Geschichte geht es um das Judentum und um den Islam. Doch erfahren wir fast nichts über diese Religionen, aber eben doch etwas. Wir erfahren etwas über den Sufismus, dem Tanz der Derwische, und immerhin wird Rumi zitiert. Ich denke, diese Bescheidenheit, sich über Religionen auszulassen, ist beabsichtigt, denn es ist belanglos, was wir hier über Religionen erfahren oder nicht erfahren. Es geht um das Leben selbst, dass zu meistern gilt. Nur eben wie. Monsieur Ibrahim, der einen kleinen Laden in einer Straße in Paris führt, gewinnt durch seine Lebenseinstellung und der Verinnerlichung von Koraninhalten ein erfülltes Leben und gibt seine Lebensweisheit an , sagen wir Adepten, Moses, dem jüdischen von Minderwertigkeitskomplexen gebeutelten Jungen, weiter. Sicher ist das nichts neues, aber mir gefällt, wie Eric-Emmanuel Schmitt sich diesem Thema annimmt.
Mehr sei wegen der Kürze des Romans nicht verraten. Lektüre eines schönen Nachmittages.
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
RE: Buchvorschläge/Erstes Kapitel
in Buchvorschläge 14.09.2008 10:07von Martinus • 3.195 Beiträge
In einem Referat über "Empathie" (2003) habe ich eine Textstelle aus den Stories verwenden können:
Zitat von Martinus zitiert David Foster Wallace in einem Referat
Der amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace erzählt in einer short story von einer Frau, die in die Gewalt eines Sexualverbrechers gerät. Mit fast übermenschlichem Einsatz von Empathie gelingt es der Frau, ihr Leben zu retten. Sie schlüpft in die Rolle eines psychologischen Beraters.
"Sie zwingt sich, nicht zu weinen oder zu flehen, sondern nur ihre durchdringende Fokussierung zu gebrauchen, um zu versuchen, sich empathisch in die Psychose des Sexverbrechers, seine Wut und Angst und seine psychischen Qualen einzufühlen, und sagt, sie stellt sich vor, wie ihr Fokus bei dem Mulatten den Schleier der Psychose durchdringt und mehrere Schichten von Wut und Angst und Selbsttäuschung durchbohrt, um unter dem ganzen psychotischen Zeug auf die Schönheit und das Edle der wahren menschlichen Seele zu stoßen und so eine auf Mitgefühl basierende Beziehung zwischen ihren Seelen aufzubauen, und sie fokussiert ganz intensiv das Profil des Mulatten und sagt ihm leise, was sie in seiner Seele gesehen hat, und sie besteht darauf, dass das die Wahrheit sei."
In solch einer lebensbedrohlichen Situation seinen evtl. Mörder empathisch ins Gesicht zu sehen, verlangt ungeheure Kräfte ab, die nur wenige aufbringen könnten, und in einer solch akuten Situation einen therapeutischen Gang bei solch einem Verbrecher zu bewirken ist aüßerst bedenklich, weil dazu viel mehr Zeit erforderlich wäre. In geraffter Form vermittelt uns aber der Autor sehr schön den Weg des gesprächspsychotherapeutischen Prozesses. Die Frau in der Rolle des Beraters lenkt ihre Aufmerksamkeit auf die Gefühle des Klienten (durchdringt mehrere Schichten von Wut und Angst) und wirft einen Blick auf das therapeutische Ziel, die volle Entfaltung des Verbrechers, damit er die Schönheit und das Edle seiner wahren Seele erkennen kann.
Die erste Reaktion des Verbrechers ist folgende:
"...der Mulatte hinterm Lenkrad hörte nach und nach auf mit seinem dämlichen Gequatsche und verfiel in angespanntes Schweigen, als ob seine Gedanken mit irgendetwas beschäftigt waren...er fühlte die zarten Anfänge jener Beziehung zu einer anderen Seele, nach der er sich stets gesehnt und die er natürlich im tiefsten Innern seiner Seele gleichzeitig gefürchtet hatte". - An dieser Stelle beginnt der Verbrecher ganz sachte, seine eigenen Gefühle zu reflektieren.
DieTaktik der Frau ist auf die Kernschwäche des Psychopathen gerichtet, der unfähig ist, auf jede konventionelle seelenentblößende Beziehung einzugehen. Dieser Verbrecher kann nur durch Gewalt und Mord eine Beziehung zu seinem Opfer herstellen, er will die absolute Kontrolle über sein Opfer haben, Macht über dessen Ängste und Schmerzen wie ein Gott. Das einfühlende Verstehen der Frau bringt ihn sehr ins schleudern, weil sie ihm seine einzige Möglichkeit, eine Beziehung herzustellen, wegnimmt. Er verliert seine gewaltbereite Macht über sie, gerät in innere Konflikte, bekommt selber Angst und Weinkrämpfe, er fällt in die Rolle des Opfers. Foster Wallace erzählt von der Frau, es hätte ihr fast das Herz gebrochen wie sie gemerkt hat, dass ihr Fokussieren und ihre Beziehung dem Psychopathen viel größere Qualen bereitet haben als er ihr jemals hätte zufügen können. Hier hat Empathie über rohe Gewalt gewonnen.
(Wallace-Zitate kursiv)
Viele Stories haben ihre Wurzeln in der Psychologie (auch die Geschichten mit besonders fiesen Männern).
Sehr zu empfehlen. Man muss sich aber daran gewöhnen, dass der Autor lange Fußnoten setzt.
Liebe Grüße
Martinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)