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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst


#106

RE: Ken Wilber

in Sachen gibt's - Sachbuch 05.05.2010 16:54
von Martinus • 3.195 Beiträge

"Das Spektrum des Bewußtseins" habe ich vom Antiquariat Bernhardt in Kassel. Ich bin mir 99% sicher, dass ich dieses Buch bei http://www.eurobuch.com/ entdeckt habe, dort gibt es nämlich noch ein paar Exemplare. Dieses eurobuch.com ist eine gute Ergänzung zu zvab.com. Meine Exemplar (DEA) einschließlich Porto 17€. Das ist schon günstig.




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
zuletzt bearbeitet 05.05.2010 16:56 | nach oben springen

#107

RE: Ken Wilber

in Sachen gibt's - Sachbuch 07.05.2010 06:56
von Martinus • 3.195 Beiträge

Der Weg zu den Quadranten
nach „Naturwissenschaft und Religion“ von Ken Wilber

Es gibt drei Wertsphären: Ethik, Wissenschaft und Kunst., die Wilber anders benennen möchte, mit den Ausdrücken, die von den alten Griechen stammen: „Das Gute, das Wahre und das Schöne“.

1)Das Gute sich auf Ethik, Gerechtigkeit, Moral bezieht, darauf wie Menschen „miteinander den Gemeinsamen Kulturraum bewohnen können.“

2)Das Wahre „ist vor allem die Wissenschaft, die nach objektiver, empirischer, reproduzierbarer Wahrheit strebt.“

3)Das Schöne steht für Ästhetik und ist Ausdruck eines subjektiven Selbst, d.h., das Subjekt urteilt, was schön ist und „Das Schöne ist (teilweise) im Ich des Betrachters.“

Vom Guten, Wahren und Schönen gelangt Wilber zum Ich, Wir und Es.

A) Das Ich: Das Schöne liegt im subjektiven Ich-Bereich des Betrachters. Es steht für Selbstausdruck, ästhetisches Urteil und für künstlerischen Ausdruck.

B) Das Wir: Moral wird in einer Wir-Sprache umschrieben, geht es doch um das Kollektiv, Gerechtigkeit und verständnisvollen Austausches untereinander usw.

C)Das Es: Die objektive wissenschaftliche Sprache wird in einer Es-Sprache beschrieben.


Die Differenzierung von Kunst, Wissenschaft und Moral nennt Wilber „Verflachung des Kosmos“, bzw, einfach nur „Flachland“, d.h., die Sicht der Welt wurde von der Wissenschaft sehr einseitig gesehen, nur objektive Prozesse. Durch meine Beschäftigung mit der Evolutionstheorie bin ich ja auch auf diese Verflachung gestoßen. Die Evolutionstheorie ist objektiv richtig, weil sie objektiv nachweisbar ist. Ein Gott oder irgendetwas ähnliches, gibt es nicht, weil er nicht nachweisbar ist. Schlusspunkt aus. Das Beispiel mit der Evolutionstheorie passt hier an sich ganz gut hinein, weil sich Evolutionsbiologen, wenn sie Bücher schreiben, immer sich auch darüber ergehen müssen, wie unwahr der Kreationiusmus und ist, die Kreationisten sich bemühen, angebliche Beweise zusammenzupuzzeln, die bezeugen sollen, dass die Evolutionstheorie Humbug sei. Das Problem hier nur kurz geschildert, damit es sich klärt, worum es Wilber in dem Buch „Naturwissenschaft und Religion“ geht, es geht darum, diese Gegensätze aufzuheben, auch die scheinbaren Gegensätze zwischen dem Ich, Wir und Es. Also weiter in Richtung zum Modell des Quadranten, wo bei hier noch vermerkt werden muss, die Naturwissenschaft interessiert sich nicht für die inneren Werte, für die Sinnhaftigkeit des Lebens.

Die Naturwissenschaft interessiert sich nur für das Außen. Es gibt aber auch ein Innen. Die Naturwissenschaft sagt aber, Geist und Bewusstsein seien im Gehirn verankert, d.h. ohne Gehirn gebe es keinen Geist und kein Bewusstsein, dadurch das, was Innen genannt wird, gar nicht Innen sei, weil ein raffiniertes Zusammenspiel von Neuronen Bewusstsein erzeuge, dessen genauen Mechanismus die Neurobiologie aber (noch?) nicht entdecken konnte.. Kann man dieses materialistische Weltbild aufbrechen? Darum geht es nun und gleich sind wir bei den Quadranten angelangt.

Nun muss geschaut werden, wie die äußere Wirklichkeit mit der inneren zusammenhängt. In unserem Buch spricht Wilber von „der Großen Kette des Seins“, worin es sich um eine Hierarchie handelt. Warum es sich um eine Hierarchie handelt, lasse ich mal weg, weil darüber schon debattiert worden ist, und mir an dieser Stelle es nur darauf ankommt, vielleicht zu verstehen, wie das Äußere (z.B.Wissenschaft) und das Innere (z.B.Religion) zusammenhängen.

„Die Große Kette des Seins“ stelle man sich „als Aufeinanderfolge konzentrischer Kreise oder Verschachtelungen“ vor, „wobei jede größere >>Schachtel<< die kleinere einhüllt oder umschließt.“ (=Holons).

Zitat von Wilber
In Plotins Version sind dies Materie, vegetative Lebensfunktion, Empfindung, Wahrnehmung, Emotionen, Bilder, Begriffe und Meinungen, logisches Vermögen, schöpferische Vernunft, Weltseele, Nous und das Eine, wobei jede höhere Entwicklung ein Umhüllung ihrer Vorgängerinnen darstellt.



Die Hierarchien von Holons, die der Wissenschaft und die der Religion zu verbinden führt nicht zu zwei Typen von Hierarchien, dem Innen und Außen, sondern zu vier Haupttypen von Hierarchien, sogenannten Quadranten, die Taxine und Roquairol schon erläutert haben. Hier nur ganz kurz, warum es gerade vier Haupttypen sind und wie diese Quadranten zusammenhängen.

Zuerst waren es zwei, sagen wir zwei Grundquadranten (der Begriff nicht von Wilber): Innen und außen. Dann wurde das Innen aufgeteilt in „innerlich-individuell“(oben links) und „innerlich – sozial“ (unten links), das Außen wurde aufgeteilt in „äußerlich-individuell“(oben rechts) und „äußerlich sozial“ (unten rechts).

Oben rechts: Naturwissenschaft (Atome Molekühle Zellen usw.), das ES
Unten rechts: Sozialer Quadrant
Oben links: Holarchie des „inneren Gewahrseins“, Das Ich
Unten links: „kollektive Weltsichten“, Kultur, das Wir

Zitat von Wilber

In ihrer Gesamtheit stellen die Quadranten das Äußere und das Innere des Individuums und des Kollektivs dar. Sie zeigen, kurz gesagt, die intentionalen, , verhaltensmäßigen, kulturellen und sozialen Aspekte von Holons im allgemeinen.




„Das Gute, das Wahre und das Schöne“



Die drei Wertsphären, Kunst, Ethik und Wissenschaft, genannt „Die Großen Drei“ (Ich, Wir, Es), korrelieren mit den Quadranten. Sie hängen zusammen, weil sie innerhalb „der Große Kette des Seins“ einen bedeutenden Platz einnehmen. Wilber weist insbesondere auf Immanuel Kants drei Kritiken hin: „Kritik der reinen Vernunft“ (objektive Wissenschaft), „Kritik der praktischen Vernunft“ (Ethik), „Kritik der Urteilskraft“ (ästhetisches Urteil und Kunst), diese Dreiteilung also schon weithin bekannt ist (siehe auch Popper).

„Die großen Drei“ hängen zusammen weil

a) „weil kein Inneres ohne ein Äußeres und keine Mehrzahl ohne Einzahl denkbar ist.“
b) weil die Holons „Ganze/Teile“ sind. „Praktisch alle natürlichen Hierarchien in jedem Bezirk...in wachsender Ganzheit, Einheit und funktioneller Integration organisiert" sind.

Die vier Quadranten sind „wesentliche Merkmale oder Aspekte des Kósmos“, sagt Ken Wilber.

Liebe Grüße
mArtinus




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
zuletzt bearbeitet 07.05.2010 14:00 | nach oben springen

#108

RE: Ken Wilber

in Sachen gibt's - Sachbuch 09.07.2010 12:31
von Martinus • 3.195 Beiträge

Da hat doch jemand Mut und Gnade gelesen.




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
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#109

RE: Ken Wilber

in Sachen gibt's - Sachbuch 10.07.2010 14:47
von Martinus • 3.195 Beiträge

Hallo,

„Halbzeit der Evolution“, Fischer TB, 1996

Da das Buch sehr komplex ist, werde ich mich in der Vorstellung auf einige Inhalte begrenzen, die ich ganz subjektiv auswähle, die mir aber besonders wichtig erscheinen. Wenn das Buch auch sehr interessant ist, werden einige kritische Bemerkungen nicht ausbleiben.

Der Mensch steht erst auf dem halben Weg seiner Evolutionsgeschichte. Die Evolution geht weiter. Der Untertitel des Buches heißt: „Der Mensch auf dem Weg vom animalischen zum kosmischen Bewußsein". Das Vorwort beginnt mit einem Zitat von Wilbers Lieblingsphilosophen Plotin:

"Die Menschheit befindet sich auf halbem Wege zwischen den Göttern und den Tieren"


Der Mensch ist aus dem Tier entstanden (Affen) und wird sich nach Wilber zu einem Wesen mit einem kosmischen Bewusstsein entwickeln. Sri Aurobindo und Teilhard de Chardin haben ja auch davon gesprochen, so Wilber, die Zukunft der Menschheit heiße kosmisches Bewusstsein. (bei de Chardin, weil er u.a. Theologe war, heißt das dann auch "Christusbewusstsein").Wenn man es denn so sehen will, der Mensch gehe auf lange Sicht auf ein kosmisches Bewusstsein zu, dann muss man dieses selbstverständlich als positiv betrachten, weitaus mehr als das Bewusstsein eines Tieres. Darum sagt er "vom Niederen zum Höheren."

ABER, stimmt das denn?
Überlegungen:

1) Darwinismus/Neodarwinismus

In der Evolutionstheorie spielt auch der Zufall (Mutationen) eine Rolle. Warum ist sich Wilber dann unbedingt so sicher, wie sich unser Geist entwickeln wird? Wilber ist nicht konform mit den Erkenntnissen der Neurobiologie, der Geist (Bewusstsein) entstehe aus Materie (vgl. „Naturwissenschaft und Religion“ z.B. Seite 97: „Man steht nicht am Morgen auf und ruft aus: „Oh, welch ein Dopamim-Tag“). Materie evolutioniert, dass sich daraus Bewusstsein entwickelt hat, ist vielleicht purer Zufall oder was weiß ich...ein glücklicher Zufall, bei Wilber aber alles einen transzendentalen Sinn hat, einen Sinn, der nicht auf Zufälligkeiten beruht.

2) Philosophia perennnis

Eine schöne Philosophie, durchaus - letzten Endes muss man aber daran glauben oder auch nicht, ob es das Absolute gibt. Wilber spricht meistens von GEIST, der Dalai Lama in den Harvard Vorlesungen spricht vom "Geistkontinuum", was, so denke ich, dem GEIST entspricht. Der Existentialist und Kulturanthropologe Ernest Becker („Dynamik des Todes“, „Escape from Evil“) mit dem sich Ken Wilber in unserem Buch u.a. auch auseinandersetzt, lehnt Transzendenz strikt ab.

Zitat von Wilber

Er behauptet zwar zu Recht, daß der Mensch nach dem Unendlichen und höchster Transzendenz hungert, erkennt jedoch nicht, daß er das vor allem deswegen tut, weil er intuitiv erfaßt, daß der unendliche GEIST sein Wahres Wesen ist.

(Seite 122).

Atman–Projekt und Todesangst

Die Höchste Ganzheit – Atman (Hinduismus), Buddha-Wesen (Buddhismus) kann durch den Menschen bewusstseinsmäßig erfasst werden, es ist das Tao, GEIST oder Gott.

Zitat von Wilber
Da Atman ein integrales GANZES ist, außerhalb dessen nichts existiert, umfaßt es allen Raum und alle Zeit und ist damit selbst raumlos, zeitlos, unendlich und ewig.


(Seite 21).

Weil Atman das Wahre Selbst ist, welches vom Menschen intuitiv erfasst wird, deshalb der Mensch nach Transzendenz hungert, fürchtet er jedoch die Erfahrung Höchster Ganzheit, weil er den Verlust seines seperaten Ichs fürchtet, welches an seinem Körper verhaftet ist. Die Todeangst hält ihn von einer Atman-Erfahrung ab. Das ist nach Wilber das Dilemma des Menschen.

Zitat von Wilber

Weil der Mensch mehr als alles andere reale Transzendenz wünscht, den notwendigen Tod seines seperaten Ichempfindens jedoch nichts akzeptieren kann, sucht er Transzendenz auf eine Weise zu erlangen, die sie in Wahrheit verhindert und symbolische Ersatzlösungen erzwingt.

(Seite 28).
Diesen Weg, wenn die Suche nach Atman nur zu symbolischen Ersatzbefriedigungen führt, nennt Wilber „Atman-Projekt“: Gängige Ersatzbefriedigungen sind „Sex, Essen, Geld, Ruhm, Wissen, Macht.“ (Seite 28).

Schreiten wir nun zur Evolution des Bewusstseins


UROBOROS

Der Urmensch erlebte sich ununterscheidbar von der Welt, war eingebettet in die Natur, undifferenziert, er war eingeschmolzen in die Natur. „Sein Ich war seine naturhafte Welt, seine naturhafte Welt war sein Ich.“
Was ich überhaupt bemerkenswert finde, ist die Tatsache, dass postfreudianische Tiefenpsychologen in der Psychologie des Kleinkindes Parallelen zur Bewusstseinsentwicklung des Frühmenschen entdeckt haben, wir Menschen die Evolution des Bewusstseins im Schnelldurchlauf noch einmal durchmachen. Jean Piaget sagt:

Zitat von Piaget
Während der frühen Stadien sind die Welt und das Selbst eins, sie sind durch nichts voneinander geschieden...und das Selbst ist gewissermaßen materiell.


(Seite 42).

Das Selbst oder das Ich wird über den Körper erfahren, ein mentales Ich gibt es noch nicht.
Gibt es Parallelen zur Tiefenpsychologie, so auch Übereinstimmungen mit dem Kundalini-Yoga. Die Kundalini-Energie schlummert im Unterbewusstsein des Menschen,.Die niedrigste Stufe mit Sitz am untesten Chakra am unteren Ende der Wirbelsäule als Schlangenkraft bezeichnet wird.

Der uroborische Zustand, der von Instinkten und biologischen Trieben gelenkt wird, trägt in vielen Mythologien das Symbol einer Schlange, z.B. ein schlangenförmiges Reptil, welches sich in seinen eigenen Schwanz beißt.
Zur historischen Einordnung: Die Uroboische Zeit währte bis zum Australopithecus africanus, Homo habilis, Homo erectus. Diese Periode begann etwa vor zwei oder drei Millionen Jahren und endete etwa vor zweihunderttausend Jahren.

Das Zeitalter des Typhon, bzw. der Magier


Der Mensch, sein Körper-Ich, ist nicht mehr eins mit der Umwelt, sondern er fühlt sich mit der Natur magisch verbunden. Dazu Jean Piaget:

Zitat von Piaget
Während der frühen Phase des uroboischen Bewußtseins sind die Welt und das Selbst eins, durch nichts voneinander unterschieden. Wenn dann aber ihre Unterscheidung einsetzt, bleiben beide einander doch sehr nahe. Die Welt ist noch bewußt und voller Absichten, das Selbst ist...nur leichtverinnerlicht. In diesem Zustand verbleibt in der Konzeption der Natur etwas, was wie >Anhänglichkeit< nennen könnten, Fragmente innerer Erfahrung, die sich noch an die äußere Welt klammern.


(Seite 39).

Als ältestes Zeugnis bildhafter Darstellung typhonischer Merkmale gilt "Der Zauberer von Trois frères", aus einer Höhle in Südfrankreich. Es handelt sich um ein sog. "Mischwesen" aus Tier und Mensch. Der berühmte Mythenforscher Joseph Campbell sagt, "Die ganze Höhle war ein bedeutendes Zentrum der Jagdmagie".

Die Darstellung: Ohren eines Hirsches, Augen wie die einer Eule, langer Bart eines Mannes, tanzende Beine eines Mannes, Schwanz eines Wolfes oder Wildpferdes, das Sexualorgan gleicht dem einer großen Wildkatze, Bärenklauen. Es handelt sich um ein Wesen aus Mensch und aus verschiedenen Teilen unterschiedlicher Tierarten. Damit entspricht es dem Bewusstsein eines Wesens aus dem typhonischen Zeitalter der Jäger und Sammler, der Zeit des Cro Magnon-Menschen, in der das Ich (Das Körper-Ich, nicht mental) magisch ist und sich mit der Umwelt verbunden fühlt. Also nicht mehr mit der Umwelt verschmolzen wie bei Ebene 1, sondern der Hominid fühlte sich mit der Umwelt magisch verbunden. Dieses körperhafte Ich in der magischen (typhonischen) Zeit deutet nach Gebser die erste Zentrierung des Menschen an, die dann später zu seinem Ich, Indiviuum, führen wird.

Nun, für mich selbst ist Magie eine ziemlich prekäre Angelegenheit,  der ich äüßerst skeptisch gegenüberstehe. Bekanntes Beispiel aus dem Vodoo-Kult: Man wirkt auf eine Puppe ein, und erzielt damit eine Wirkung auf eine bestimmte menschliche Person. Magisches Wissen heißt, es entsteht eine magische Beziehung zwischen dem Objekt und seinem Symbol. James Frazer unterscheidet zwischen dem Gesetz der Ähnlichkeit und dem Gesetz der Ansteckung. Kurz und gut. All diese Magie kann nur so zustande kommen, weil die Menschen dieser Zeit noch nicht ausgeprägt individuell sind, wie wir es heute sind, sondern eben weil sie ein typhonisches Bewusstsein haben.

Magie

Erich Neumann schreibt in „Ursprungsgeschichte des Bewusstseins“:

Zitat von Neumann

Ein Mann zeichnet das Tier vor der Abenddämmerung in den Sand. Trifft dann der erste Sonnenstrahl die Zeichnung, schießt er einen Pfeil auf das gezeichnete Tier ab, womit er es tötet; >später< erlegt er es wirklich und führt am Abend einen rituellen Tanz auf. Alle diese Handlungen und Geschehnisse sind eins – und identisch, nicht symbolisch.


(man denke hier an den Voodoo-Kult)

Träume

Aus dem Blickwinkel des typhonischen Zeitalters sind Träume recht gut zu verstehen, denn sie scheinen ein Restbestand aus dieser frühen Periode der Menschheitsgeschichte zu sein: Erich Neumann sagt:

Zitat von Neumann

Wie im Traum das Ich in einer Innenwelt lebt, ohne es zu wissen, denn alle Gestalten des Traumes sind Bilder, Symbole und Projektionen innerer Prozesse, ist die menschliche Frühwelt weitgehend Innenwelt, die als äußere erlebt wird in einem Zustand, in dem Innen – und Außenwelt noch nicht voneinander geschieden sind.


(Seite 70).

Zeit und Tod

Als ich die Gedanken zu Zeit und Tod gelesen habe, musste ich an Saramagos Roman "Eine Zeit ohne Tod" denken, ein Gedankenexperiment, was wäre, wenn es den Tod gar nicht gäbe. So schön wäre das alles nicht, weil unser Leben darauf aufgebaut ist, dass es den Tod gibt. Wir schreiben unser Testament, überlegen, was wir für eine Rente bekommen. Wir sind unserem begrenzten Ich ausgeliefert. Alles haben zu wollen - heute ist es das Geld, obwohl jeder weiß, Geld macht nicht glücklich. Alle Bücher können wir nicht besitzen, lesen schon gar nicht (das ist, um ehrlich zu sein, auch nicht erstrebenswert). Unsterblichkeit kann theoretisch nur auf der Ebene des Bewußtseins erreicht werden, nicht über den vergänglichen Körper.

Als der uroborische Zustand in den typhonischen überging und dadurch das Bewusstsein des Ichs begann, dämmerte auch das Wissen um den Tod auf. Es gab zwei Möglichkeiten:

Zitat von Wilber

"Der Mensch kann Tod und Thanatos leugnen und verdrängen oder beides ins unbewußte All tranzendieren."



Hinterfragung: Wenn uns das All unbewusst ist, wie soll es dann möglich sein, den Tod zu transzendieren, schließlich sind wir doch im seperaten Ich gefangen . Aufgrund unsererErfahrung mit der Identifizierung des seperaten Ichs, haben wir schon die Richtung gelegt, Angst vor dem Tod zu haben, eben deshalb, weil uns die bewusste Erfahrung des zeitlosen Atman fehlt. Wir sind eben noch in der Höhle des Höhlengleichnisses. In der Bewusstseinserfahrung des zeitlosen Absoluten ist der Tod transzendiert, er wird bedeutungslos. Die Furcht vor dem Tod ist nur da, weil unser begrenztes Ich den Tod fürchtet. Der typhonische Mensch lebte nicht nur so in den Tag hinein und aß nur, sondern er ging auf die Jagd, um sein Leben zu erhalten. Hierin können wir den Wunsch des typhonischen Menschen sehen, sein Ich zu erhalten, sich vor dem Tod zu bewahren, in dem er sich mit Fleiß (Jagd) Nahrung beschafft. Der Hominid dieser Zeit trieb noch keinen Ackerbau, weil er nicht weit in die Zukunft sah, er lebte mehr oder weniger von Gegenwart in die nächste Gegenwart.

Wir können nicht über unseren eigenen Schatten springen.

Zitat von Wilber
Das ursprüngliche Wesen des Menschen ist GEIST, das Höchste Ganze; bevor er jedoch doeses GANZE entdeckt, bleibt er ein entfremdetes Fragment, ein seperates Ich, das sich zwangsläufig mit dem Bewusstsein des Todes und mit Todesangst konfrontiert findet. Das ist keine von bestimmten Umständen abhängige Angst. Sie ist existentiell mitgegeben, eingeboren.



Das ist sehr bodenständig gedacht. Realitisch auch, das Wilber nicht glaubt, dass in nächster Zeit dem Menschen das Atman-Bewußtsein gegeben wird ("jedenfalls nicht innerhalb der nächsten Jahrtausende."). Es habe jedoch immer Einzelne gegeben, die den Weg zum Atman gegangen sind.

Wie jetzt aber diese Entwicklung zum Atman-Bewusstsein von Statten gehen soll, liegt völlig im Dunkeln. Noch einmal: Atman ist uns nicht bewusst, kann nach Wilber nur durch Instinkt erahnt werden. Wie der Weg zur geistigen Befreiung und Loslösung von der Materie dann aber von Statten gehen soll, wird nicht erwähnt.

Schamane

Der Schamane ist ein Wurf des typhonischen Zeitalters. Der Schamane kann sich nach Belieben in Trance versetzen, die schamanische Erfahrung ist ein „Durchbruch zu höheren Formen des Seins.“ Das seperate Ich wird, nachdem es sich eben erst aus der archaisch-uroborischen Zeit gelöst hat, „.. hier zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit transzendiert.“

Die Bewusstseinserweiterung eines Schamanen in Trance ist trotzdem noch recht primitiv, aber es hat der damaligen Welt der Jäger und Sammler aufgezeigt, dass es noch andere  Dimensionen menschlichen Daseins gibt, als die tägliche mechanische Nahrungsbeschaffung. Mircea Eliades Buch „Schamanismus und archaische Extasetechnik.“  ist erste Anlaufstelle, wenn es um Schamanismus geht.

Da ich ein oller Skeptiker bin, und mir bei solch bewusstseinserweiternden Methoden naturgemäß Skepsis mitschwingt, kann mich am besten mit Wilbers Vergleich zu Freud anfreunden, demnach neurotische Symptome

Zitat von Wilber

genau der Logik des magischen primitiven Vorganges folgen und daher im Grunde nichts als unverdaute Reste aus den unteren Stadien der Evolution darstellen.



nächste Woche geht es hier weiter

Liebe Grüße
mArtinus




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
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#110

RE: Ken Wilber

in Sachen gibt's - Sachbuch 12.07.2010 15:19
von Martinus • 3.195 Beiträge

Die Ära des Ackerbaus und der Kult der Großen Mutter

Das Bewusstsein des Menschen hat sich nun so weit verändert, dass das Leben nicht nur auf die Gegenwart ausgerichtet ist, also nicht so, wie in der typhonischen Ära, in der gejagt wurde, um am Abend etwas Essen zu haben, sondern, die Planung des Ackerbaus setzt ein Bewusstsein voraus, welches auf die Zukunft von Ernten schaut zum Zweck für größere Menschengruppen eine geregelte Nahrungsversorgung zu gewährleisten. Das ist nun wirklich ein großer Sprung. Menschen organisieren sich zusammen. Ich sehe hierin die ersten Atemzüge größerer Zivilisationen. Es sind Menschen , die in Gemeinschaften ihr Leben organisieren. Wilber sagt , instinktive, körpergebundene Handlungen und Magie werden auifgeschoben, kanalisiert, sublimiert und ausgeschaltet – eine ganz neue Ära bricht an. Wilber formuliert es ganz knapp und wunderbar:

Zitat von Ken Wilber

Wenn die Jagd das Körper-Ich unterhielt, dann unterhielt der Ackerbau das neu entstehende mentale Ich.



Man kann hier wirklich sagen, die Menschen setzen hier erstmals ihren Verstand ein, setzen ihn in Bewegung und waren keine Wesen mehr, die sich auf die Grundbedürfnisse wie Essen, Schlafen und Sex reduzierten, sondern es entstand Kultur. Ackerbau ist eine kulturelle Errungenschaft.

Weil die Menschen bewusstseinsmäßig auch die Zukunft im Blick hatten (Ackerbau), hatten sie auch den Tod vor Augen. Von der späteren Agyptischen Hochkultur wissen wir, wie der Tod verdrängt worden ist. Der Tod solltte eine Verlängerung des irdischen Lebens sein.. Darin waren sie große Spezialisten, und sie gaben sich große Mühe, damit jemand gut ins Jenseits herüberkommt, und nicht durch das Jenseitsgericht zu ewiger Verdammnis verflucht, einer Welt, auf der alles auf dem Kopf steht. Die Menschen im Neolithikum machten sich, auch wenn sie keine großen Jenseitsmythologien entwarfen oder nicht überliefert wurden, Gedanken über den Tod, darauf weisen die um 10000 vor Chr. gehäuften Grabzeremonien hin. Joseph Campbell meint: „Gräber weisen auf den Versuch hin, mit der Drohung des Todes fertigzuwwerden.“,

Ob die Frauen damals, die den Ackerbau erfanden, dieses nur deshalb taten, um sich „Zeit zu erkaufen“, auf diese Weise den Tod vermeiden wollten, finde ich durchaus anfechtbar. Ich glaube nicht daran. Die Menschheit entwickelte sich einfach. Durch das mentale Ich kam auch das Bewusstsein über die die Zeit und Endlichkeit des Lebens. Das ist erst mal alles. Die Leute, die den Ackerbau betrieben, konnten sehen, wie Pflanzen, Getreide sprossen (wie Leben enstand), dieses Leben dann zerstört wurde, weil man Getreide aß. Das ist für mich im Umkreis des Ackerbaus der einzige Bezug zu Leben und Tod (Allerdings hat der typhonische Jäger auch getötet um zu speisen, aber offentsichtlich ohne ein Bewusstsein für den Tod zu haben).

….........mal so zwischendurch.......persönliches.....

Ein aktuelles Beispiel unserer Zeit: Jemand sammelt Werkausgaben (Bücher) und möchte alle Werkausgaben haben. Hierin kann man natürlich einen Versuch erkennen, den Tod vermeiden zu wollen, weil dieser Mensch, der all diese Bücher besitzen will, nach Vollkommenheit strebt und niemals sterben will. Solche Versuche nennt Wilber das „Atman-Projekt“. Eigentlich will man nach Vollkommenheit streben, zum Atman-Bewusstsein, doch man sucht nur nach Ersatzbefriedigungen, in dem man Bücher sammelt oder anderes anstellt. Es ist schon so, wir kleben alle an unserem begrenzten Ich, welches wir nicht einfach so aufgeben wollen. Natürlich sammelt nicht jeder irgendwas. Auch Versuche, mit Drogen in andere Bewusstseinszustände zu kommen, sind meiner Meinung zum Scheitern verurteilt. Der Mensch will mehr als nur Arbeiten und Essen. Er will irgendwohin, manche verschlägts in Sekten, Religionen, Esoterik. Menschen suchen einen tieferen Sinn des Daseins. Ich glaube, dass kann ich einfach mal nur so festschreiben. Nach Ken Wilbers Vorstellung ist diese Suche des Menschen erst beendet, wenn der Mensch bewusstseinsmäßig sein begrenztes Ich aufgibt und eins mit dem GEIST (Atman) wird.

Auch wenn mich Ken Wilber mit seinen Theorien beeindruckt und sogar in einem altägyptischen Papyrus Atman findet, habe ich meine Zweifel. An sich bin ich irdisch orientiert, ich meine nicht unbedingt im Konsumwahn weltlicher Kurzfreuden, sondern, ich strebe danach, mein Leben so hinzunehmen wie es mir gegeben ist, und spüre seit einigen Jahren die Endlichkeit meiner Physis, strebe danach, mit mir zufrieden zu sein, bin froh auf dieser Erde zu leben. Ein Leben im prallen Überfluß, davon halte ich nichts, und darum verstehe ich auch Askese in Religionen. Durch Verzicht zum Gewinn, durchaus – aber bitte keine Weltverneinung. Warum kann man am Ende seines Lebens nicht einfach feststellen:

Ich sterbe
und werde
zu Erde
eins mit
Mutter Erde.

…................................

Weiter geht’s:

Der Kult um "die große Mutter" gehört zu den ältesten Kulten der Menschheit. Wilber unterscheidet zwei Aspekte dieser Göttin: den naturhaft biologischen Aspekt und den transzendenten Aspekt.

„Die große Mutter“ ist die Erdgöttin, ihr Gefährte, der Liebhaber, ist der Mond, der immer in ihrer Nähe ist. Am Ende des Mondzyklus verschwindet, bzw. stirbt der Mond (Neumond) und wird nach drei Tagen wiedergeboren. So entstehen Mythen, die bis in die christliche Ära reichen. An dieser Stelle ist mir nämlich in den Sinn gekommen, auch Christus fuhr nach dem Kreuzestod drei Tage in die Unterwelt und ist am dritten Tage wieder auferstanden, bzw. wurde wiedergeboren.

Ein anderer Aspekt der Großen Mutter ist eben die Sache mit dem Blutopfer. Für uns heute nicht nachvollziehbar, weil wir nicht nach magisch/typhonischer Logik vorgehen.

Zitat von Wilber
Das Menstruationsblut fließt periodisch während der ganzen Reife der Frau aus ihrem Schoß – ausgenommen wenn sie schwanger ist.



Daraus schlussfolgerten die Primitiven, um neues Leben hervorzubringen, brauche die Große Mutter Blut. Der Gefährte der großen Mutter (z.B. der Mond) opfert sein Blut der Großen Mutter. Sie und ihr Gefährte gehen für drei Tage in die Unterwelt, wo die Göttin die Auferstehung beider vorbereitet und sichert durch die Auferstehung einen neuen Lebenszyklus, neue Fruchtbarkeit und einen neuen Mond. Bei der Auferstehung wird der Gefährte der Göttin sein eigener Vater. Wilber weist auf die Parallele zu Maria , der Mutter Jesu hin, die Mutter des toten und auferstandenen Gottes ist, gleichzeitig auch die jungfräuliche Braut Gottes.

Christen hängen einem Kult an, dessen Ursachen in mythischer Zeit lagen, als der Ackerbau erfunden wurde, nur, wahrscheinlich wissen nicht so viele Christen davon. Wenn man so überlegt, das ist doch verrückt. Ich war mal in Ephesos. Im Konzil dort (431 n. Chr.) wurde das Thema angestoßen, ob Maria eine Gottesgebärerin sei oder nicht. In späteren Verhandlungen (433 n. Chr.) über den Konzil, wurde man sich einig, Maria sei eine Gottesgebärerin. Im nahen Umkreis des Konzils zu Ephesos stand der Artemis (Diana)-Tempel. Die Artemis in Ephesos galt als Ernährerin aller Lebewesen und als Göttin der Fruchtbarkeit. Das sind wichtige biologische Aspekte der Großen Mutter.

Nach Wilber sind Opferrituale (Menschen - oder Tieropfer) magischer Ersatz für Transzendenz.

Es gibt aber auch den transzendenten Aspekt der Großen Mutter, die Wilber dann als „Große Göttin“ beschreibt, der transzendente Aspekt der Göttin, der natürlichen Mutter aller Dinge ,( aus Campbell, The Masks of God“) von den alten Ägyptern erkannt worden ist. Die meisten Menschen dieser mythischen Zeit hängen den magischen Ritualen nach, in denen Blut geopfert wurde, nur wenige, Priester o.ä., erkannten die Transzendenz der großen Göttin, opferten kein Blut, sondern ihr Opfer war die Ichauflösung im Gottesbewusstsein.

Wilber weist sehr treffend auf die Verweltlichung des heutigen Christentums hin, in welcher jegliche Transzendenz verlorengegangen ist.

Hier passt ein Hinweis auf Thomas Manns indischer Legende „Die vertauschten Köpfe“ hinein, in dem es um ein Blutopfer an die Göttin Kali geht. Der Konflikt der Legende wird gelöst, in dem sich die Betroffenen verbrennen, d.h., sie lösen ihr seperates Ich auf, welches an ihre Körper gebunden ist und gehen ein in Transzendenz (in der Legende verbrennen sie).

Dass die katholische Kommunion ein Überrest heidnischer Kulte ist, kann man auch in anderen Büchern lesen. Das anthropophagische Motiv, Christi Leib ist das Brot, Christi Blut der Wein, wird transformiert, in dem die Menschenfresserei zu einer Symbolhandlung wird, die dazu dient, Transzendenz zu erlangen. In dem der Gläubige den Laib Brot und den Wein zu sich nimmt, nimmt er sakraltheologisch gesehen, den Geist Christi in sich auf, d.h. er erfährt Christusbewusstsein. Nun wissen wir aber, dass es in der Christenpraxis nicht so aussieht, und diese heilige Handlung im Geiste nichts bewirkt. Wilber sagt, die meisten Christen praktizieren ihren Glauben in exoterischer Weise und praktizieren nichts weiter als Überreste des heidnischen Kultes der großen Göttin. Kontemplation, Mystik, Spiritualität ist den meisten Christen heutzutage verpflogen. Ein Beispiel aus meiner Kirchengemeinde, in der ich mich seit Jahren nicht mehr blicken lasse: Dort werden Tanzkurse angeboten. Wie bitte? Ja, Tanzkurse. Erotik als Ersatz für Transzendenz.. Haha! Ken Wilber würde sagen, der Tanzkurs sei ontologischer Hunger. ;D

Im Eros drückt sich der Wunsch aus, Ganzheit wiederzuerlangen. Um die Ganzheit zu erlangen, muss das seperate Ich, welches an den Körper gebunden ist, durch Thanatos aufgelöst werden. Da sich das seperate Ich aber gegen diesen Vorgang wehrt, kann durch den Eros die Ganzheit nicht erlangt werden. In Wilbers Buch kommen wir immer wieder auf diese grundlegende Aussage zurück.

Zitat von Ken Wilber
Eros ist also die nie ruhende Macht des Suchens, Ergreifens, Verlangens, Liebens, Lebens, Wollens. Eros ist niemals befriedigt, weil es nur Ersatzbefriedigungen findet. Eros ist ontologischer Hunger.



Was für wahnwitzige Wege sich gestalten, wenn wir an Ersatzhandlungen für Transzendenz denken. Da werden bei den Maki-Zeremonien auf der Insel Malekula im Archipel der Neuen Hebriden nahezu funfhundert Schweine erstochen.

Zitat von Ken Wilber
Heiliger Krieg ist nichts weiter, als eine oberflächlich rationalisierte Verehrung der Großen Mutter.



Ein Gottkönig als Ersatz von Transzendenz (heute der Papst). Die ersten Könige ließen sich freiwillig rituell Opfern, um wiedergeboren zu werden (bei den Sumerern soll es ja noch Menschenopfer gegeben haben, Königsgräber von Ur).

.......




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
zuletzt bearbeitet 12.07.2010 15:30 | nach oben springen

#111

RE: Ken Wilber

in Sachen gibt's - Sachbuch 12.07.2010 16:40
von Roquairol • 1.072 Beiträge

Hallo,
nur kurz, ich sitze hier buchstäblich auf gepackten Koffern:


Zitat von Martinus

1) Darwinismus/Neodarwinismus

In der Evolutionstheorie spielt auch der Zufall (Mutationen) eine Rolle. Warum ist sich Wilber dann unbedingt so sicher, wie sich unser Geist entwickeln wird? Wilber ist nicht konform mit den Erkenntnissen der Neurobiologie, der Geist (Bewusstsein) entstehe aus Materie (vgl. „Naturwissenschaft und Religion“ z.B. Seite 97: „Man steht nicht am Morgen auf und ruft aus: „Oh, welch ein Dopamim-Tag“). Materie evolutioniert, dass sich daraus Bewusstsein entwickelt hat, ist vielleicht purer Zufall oder was weiß ich...ein glücklicher Zufall, bei Wilber aber alles einen transzendentalen Sinn hat, einen Sinn, der nicht auf Zufälligkeiten beruht.



Doch, Wilber ist durchaus konform mit den Erkenntnissen der Neurobiologie. Er wehrt sich nur gegen das, was er in EKL als Quadranten-Verwechslung bezeichnet. Die Quadranten oben-links (Innenansicht, für uns nur erfahrbar über das eigene Ich) und oben-rechts (Außenansicht) sind streng zu unterscheiden. Die Neurobiologie kann als Naturwissenschaft nur auf den Quadranten O-R zugreifen, ein transzendentaler Sinn ist dagegen nur in O-L zu finden, deshalb ist das eine mit dem anderen nicht vereinbar. Wenn die Wissenschaft über ihren Bereich hinausgreifen und nach Sinn suchen will, findet sie keinen und nennt das dann "Zufall".

Zitat von Martinus

2) Philosophia perennnis

Eine schöne Philosophie, durchaus - letzten Endes muss man aber daran glauben oder auch nicht, ob es das Absolute gibt. Wilber spricht meistens von GEIST, der Dalai Lama in den Harvard Vorlesungen spricht vom "Geistkontinuum", was, so denke ich, dem GEIST entspricht. Der Existentialist und Kulturanthropologe Ernest Becker („Dynamik des Todes“, „Escape from Evil“) mit dem sich Ken Wilber in unserem Buch u.a. auch auseinandersetzt, lehnt Transzendenz strikt ab.

Zitat von Wilber

Er behauptet zwar zu Recht, daß der Mensch nach dem Unendlichen und höchster Transzendenz hungert, erkennt jedoch nicht, daß er das vor allem deswegen tut, weil er intuitiv erfaßt, daß der unendliche GEIST sein Wahres Wesen ist.

(Seite 122).




Wilbers Argumentation ist andernorts durchaus vom Glauben unabhängig: In vielen Kulturen gibt es spirituelle und meditative Praktiken, die alle zu sehr ähnlichen mentalen Zuständen führen. Wenn zahlreiche Mystiker durch die Jahrhunderte hinweg, in Asien wie in Europa, zu vergleichbaren Erleuchtungserlebnissen gelangten, dann ist dies eine empirisch abgesicherte Erkenntnis. Dies ist Grund genug, sich auf dieses Experiment einzulassen - "Glauben" ist dagegen völlig unnötig.

Genug für heute, mal sehen, ob es in Delphi ein Internet-Cafe gibt ...




Homepage: http://www.noctivagus.net/mendler
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#112

RE: Ken Wilber

in Sachen gibt's - Sachbuch 16.07.2010 16:03
von Martinus • 3.195 Beiträge

Zitat von Roquairol


Zitat von Martinus

1) Darwinismus/Neodarwinismus

In der Evolutionstheorie spielt auch der Zufall (Mutationen) eine Rolle. Warum ist sich Wilber dann unbedingt so sicher, wie sich unser Geist entwickeln wird? Wilber ist nicht konform mit den Erkenntnissen der Neurobiologie, der Geist (Bewusstsein) entstehe aus Materie (vgl. „Naturwissenschaft und Religion“ z.B. Seite 97: „Man steht nicht am Morgen auf und ruft aus: „Oh, welch ein Dopamim-Tag“). Materie evolutioniert, dass sich daraus Bewusstsein entwickelt hat, ist vielleicht purer Zufall oder was weiß ich...ein glücklicher Zufall, bei Wilber aber alles einen transzendentalen Sinn hat, einen Sinn, der nicht auf Zufälligkeiten beruht.



Doch, Wilber ist durchaus konform mit den Erkenntnissen der Neurobiologie. Er wehrt sich nur gegen das, was er in EKL als Quadranten-Verwechslung bezeichnet. Die Quadranten oben-links (Innenansicht, für uns nur erfahrbar über das eigene Ich) und oben-rechts (Außenansicht) sind streng zu unterscheiden. Die Neurobiologie kann als Naturwissenschaft nur auf den Quadranten O-R zugreifen, ein transzendentaler Sinn ist dagegen nur in O-L zu finden, deshalb ist das eine mit dem anderen nicht vereinbar. Wenn die Wissenschaft über ihren Bereich hinausgreifen und nach Sinn suchen will, findet sie keinen und nennt das dann "Zufall".

Genug für heute, mal sehen, ob es in Delphi ein Internet-Cafe gibt ...




Die Diskussion läuft uns nicht weg.

Die Naturwissenschaft ignoriert den Quadranten O-L , d.h. das Außen und das Innen des Individuums wird in den Quadranten O-R verlegt. Ich blättere jetzt mal in Wilbers NR („Naturwissenschaft und Religion“), weil er dort diese Problematik in äh...mir gut verständlicher Form erläutert.

Zitat von Wilber
Und doch war es letztlich nicht die Erkundung der rechtsseitigen Aspekte des Kosmos, die zur modernen Verflachung führte. Es war vielmehr die sich festsetzende Überzeugung, daß die ganzen linksseitigen Dimensionen in Wirklichkeit bloß nicht ganz aufgeklärte rechtsseitige Ereignisse seien. Eine religiöse Erfahrung war in Wirklichkeit keine Offenbahrung spiritueller Wirklichkeiten, sondern bloß eine massive Dopamim-Ausschüttung im Gehirn.



Das ist genau der Punkt. Gibt es wirkliche religiöse Erfahrungen oder nicht?

Die Wissenschaft beschäftigt sich durchaus mit dem „Innen“, auch wenn sie es im Quadranten O-R sucht. So ist für Moral offenbar die Amygdala zuständig. Die Moral, die in der Quadrantentheorie bei Wilber O-L liegt, versetzt die Neurobiologie nach O-R. Ich denke mal, dieses ist nach Wilber eine Quadranten-Verwechslung, denn die Moral gehört O-L hin. Die Kontroverse geht ja dahinaus, dass Reduktionisten sagen, Freude, Trauer, Begierde usw. (Innen) kann man im Gehirn (Außen) ausmachen. Auch wenn sich ein Mensch verliebt, geschehen bestimmte Reaktionen im Kopf. So wird nach neuronalem Korrelat des Bewusstseins geforscht (hier), auf diese Weise die Forschung im Quadranten O-R bleibt.

Weiter in NR:

Zitat von Wilber
Der Geist ist durchaus nicht nur eine jenseitige Seele, die in einem materiellen Körper eingesperrt ist, sondern vielmehr mit dem biomateriellen Gehirn engstens verknüpft (er ist aus es nicht reduzierbar, aber auch nicht streng von ihm geschieden).



Das ist nun sehr interessant. Unser Geist wirkt auf das Gehirn. Wenn wir uns jetzt vorstellen, wie Wilber es in „Halbzeit der Evolution“ tut, der GEIST habe den Urknall hervorgebracht, der GEIST also auf Materie einwirken kann, so kann ich mir auch vorstellen, dass unser individueller Geist auf unser Gehirn einwirken kann. Damit wären wir aus dem Dilemma der Quadranten – Verwechslung draußen, denn das Innere (Quadrant O-L) wirkt auf das Außen (Quadrant O-R). Und dann ist es ja so: Es gibt zwar vier Quadranten, sie kann man aber nicht trennen, weil sie ineinander verschachtelt sind (irgendwo sagt Wilber das); d.h. alles ist eine Ganzheit.

Noch 'ne Frage: Wenn unser Geist nicht nur auf unseren Körper begrenzt ist, müssten wir dann nicht, wenn wir unter einer Narkose liegen, noch irgendwo außerkörperliches Bewusstsein spüren?

Oh, Roquairol, du bringst mich noch mal in eine Sinnkrise.
Danke für deine Gedanken.

Liebe Grüße zum Ομφαλός της γης,

mArtinus




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
zuletzt bearbeitet 21.07.2010 06:07 | nach oben springen

#113

RE: Ken Wilber

in Sachen gibt's - Sachbuch 20.07.2010 22:51
von Zypresserich (gelöscht)
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Zitat von Martinus
Unser Geist wirkt auf das Gehirn.

Er entsteht dort und nur dort. Weil: Geist isn kognitives Konstrukt. Frag ma n Tier: Sach mir ma, was dein Geist is.

Beweis: Gehirn weg => nix denkt Geist => Geist weg. Oda?

Gruß
Hui Buh, das Schlossgespenst (mit der rostigen Rasselkette).

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#114

RE: Ken Wilber

in Sachen gibt's - Sachbuch 21.07.2010 06:18
von Martinus • 3.195 Beiträge

Zitat von Zypresserich

Zitat von Martinus
Unser Geist wirkt auf das Gehirn.

Er entsteht dort und nur dort. Weil: Geist isn kognitives Konstrukt. Frag ma n Tier: Sach mir ma, was dein Geist is.

Beweis: Gehirn weg => nix denkt Geist => Geist weg. Oda?




Meine ich ja auch. Ich habe nur Wilbers Gedanken weiter denken wollen, um seine Theorie zu erläutern. Selbst außerkörperliche Nahtoderfahrungen werden von der Wissenschaft anders erklärt (wie, da müsste ich jetzt wieder suchen, wo ich dass gelesen habe), sie sagen jedenfalls nicht, Bewusstsein oder Geist sei dann außerhalb des Körpers. Ich lag mal unter Narkose und war so gudde wie Tod und dann bin ich wieder aufgewacht, bzw. auferstanden.

Grüße vom
Gespenst von Canterville




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
zuletzt bearbeitet 21.07.2010 10:10 | nach oben springen

#115

RE: Ken Wilber

in Sachen gibt's - Sachbuch 21.07.2010 09:24
von Zypresserich (gelöscht)
avatar

Zitat von Martinus
... Gespenst von Canterville

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#116

RE: Ken Wilber

in Sachen gibt's - Sachbuch 22.07.2010 18:53
von Roquairol • 1.072 Beiträge

Zitat von Martinus
Noch 'ne Frage: Wenn unser Geist nicht nur auf unseren Körper begrenzt ist, müssten wir dann nicht, wenn wir unter einer Narkose liegen, noch irgendwo außerkörperliches Bewusstsein spüren?



Nur noch schnell dazu:
Es ist in der Tat so, dass Menschen, die viel meditieren, auch im Schlaf noch ein gewisses Bewusstsein behalten.
Ken Wilber war im letzten Jahr laengere Zeit im Krankenhaus und lag dort zwei Wochen lang im Koma. Danach berichtete er, dass er waehrend dieser ganzen Zeit bewusst war, wenn auch nicht als Individuum Ken Wilber, aber als <<Big Mind>>.




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#117

RE: Ken Wilber

in Sachen gibt's - Sachbuch 24.07.2010 20:03
von Roquairol • 1.072 Beiträge

Zitat von Martinus
Amygdala



... ist uebrigens das griechische Wort fuer Mandel bzw. Mandelbaum. Es gibt hier eine Taverne, die Amygdala heisst. Vermutlich werden Hirnforscher im Urlaub davon etwas irritiert ...




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#118

RE: Ken Wilber

in Sachen gibt's - Sachbuch 31.07.2010 18:35
von Martinus • 3.195 Beiträge

Hallo Roquairol u.a.

Zitat von Roquairol

Zitat von Martinus
Noch 'ne Frage: Wenn unser Geist nicht nur auf unseren Körper begrenzt ist, müssten wir dann nicht, wenn wir unter einer Narkose liegen, noch irgendwo außerkörperliches Bewusstsein spüren?



Nur noch schnell dazu:
Es ist in der Tat so, dass Menschen, die viel meditieren, auch im Schlaf noch ein gewisses Bewusstsein behalten.
Ken Wilber war im letzten Jahr laengere Zeit im Krankenhaus und lag dort zwei Wochen lang im Koma. Danach berichtete er, dass er waehrend dieser ganzen Zeit bewusst war, wenn auch nicht als Individuum Ken Wilber, aber als <<Big Mind>>.




Ich habe mal ganz früher einige Jahre lang meditiert (TM), und einmal sah ich mich von oben wie ich im Bett lag und schlief....
worauf ich jetzt aber hinaus will ist Sigmund Freud's „Ozeanisches Gefühl“. In „Das Unbehagen in der Kultur“ schreibt er über einen Brief, den er von Romain Rolland erhalten hatte:

Zitat
Ein Gefühl, das er die Empfindung der >Ewigkeit< nennen möchte, ein Gefühl wie von etwas Unbegrenztem, Schrankenlosem, gleichsam >Ozeanischem<. Dieses Gefühl ist eine rein subjektive Tatsache, kein Glaubensatz; keine Zusicherung persönlicher Fortdauer knüpfe sich daran, aber es sei die Quelle der religiösen Energie...

(zit. aus Siri Hustvedt: „Die zitternde Frau“, Seite 176).

Als Ursache dieses ozeanischen Gefühls vermutet Freud eine „implizite Erinnerung an eine frühe Zeit unseres Lebens.., als unser Ich noch nicht vollständig von der Welt um uns getrennt war.“ (Hustvedt, dto). Hierzu vgl. noch einmal das Zitat von Jean Piaget auf Seite 42, „Halbzeit der Evolution“, in dem Piaget darauf hinweist, dass im Frühstadium der kindlichen Entwicklung sich von der Umwelt nicht getrennt erlebt (uroborisch).

Die Einheit der Welt wird in der uroborischen Zeit und im Frühstadium der Kindheit als Einheit erfahren, man fühlt sich von der Außenwelt nicht getrennt. Es ist eine Überlegung wert, ob Freud recht hat, wenn er das Ozeanische Gefühl als Nachklang einer frühen Erinnerung des Menschen ansieht (Einheit in der Materie), oder ist es das Gleiche oder doch etwas anderes, wenn Mystiker Erfahrung von der Einheit im Geiste machen? Wenn man spirituell argumentieren will, könnte man die Einheit in der Materie (uroboros) als Vorstufe zur Einheit im Geiste ansehen. Kann man dieses Rätsel lösen? Wenn ein Baby sprechen könnte, würde es sagen „Ich und die Mama sind eins.“

Ich und der Vater sind eins

Ken Wilber benutzt buddhistische Begriffe, und ich weiß nicht, warum er nicht sagt, dass diese Begriffe im Mahayana-Buddhismus gepflegt werden.. Vielleicht deswegen, weil er dieses Buch für westlich orientierte Menschen geschrieben hat.

Es geht um die Begriffe Nirmanakaya, Sambhogakaya, Dharmakaja., um Trikaya, die Lehre der drei Körper des Buddha. Die Wurzeln dieser Lehre sind schon im frühen Buddhismus zu finden. Es geht um die Unterscheidung eines materiellen Leibes (Nirmankaya) mit einem subtilen Leib (Sambhogakaya) und einem reinen geistigen Körper (dharmakaya). Diese Lehre wurde im 4. nachchristlichen Jahrhundert ausgebaut und verfeinert (Asanga).

Zitat von Michael von Brück: Einführung in den Buddhismus
Jeder dieser Körper oder >Manifestationsebenen< entspricht bestimmten geistigen Wahrnehmungen und Erscheinungen, Welche Art der Wahrnehmung eintritt, hängt daran, womit (und mit welcher Ebene) sich der Meditierende indentifiziert.



Im Grunde genommen reicht dieses als Hintergrund. Wilber setzt diese Begriffe ein, wenn er von der Evolution religiöser Erfahrung spricht:

Zitat von Wilber

Historisch gesehen beginnt die Große Göttin im Nirmankaya und verschwindet in den Sambhogakaya; Gott der Vater beginnt im Sambhogakaya und verschwindet in den Dharmakaya; die LEERE beginnt im Dharmakaya und verschwindet in den Svabhavikaya (und der Svabhavikaya ist der Urgrund und die Bedingung von ihnen allen).



Die LEERE ist auch ein buddhistischer Begriff, die Auflösung sämtlicher Dualitäten und Individualität. Einfach nur GEIST (was immer man sich darunter vorzustellen mag, es ist unvorstellbar), ist aber, wenn es bewusstseinsmäßig erfasst ist, das Ziel buddhistischer Erfahrung, und Wilber sagt, behauptet, die Evolution des Menschen geht bewusstseinsmäßig eben dorthin.....in zwei Millionen Jahren (diese Zahl fasst er ins Auge).

Nun versucht Wilber, Moses und Christus aus buddhistischer Sicht zu erfassen. Moses stieg vom Berg Sinai herab und brachte das Wissen vom Sambhogakaya mit. Als er nun vom Sinai herabgestiegen war, wurde er mit der Nirmanakaya-Religion (Goldenes Kalb) konfrontiert, diese er bekämpfen und transzendieren musste. Diese Sichtweise gefällt mir. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gott dem Mose die Hand schüttelt und ihm eine Tafel mit zehn Geboten übergibt. An so etwas kann ich nicht glauben. Das AT benutzt eine Art Bildersprache, das ist es.

Christus machte einen evolutionsnären Fortschritt, indem er die Offenbarung „Ich und der Vater sind eins“ verkündete.

Zitat von Wilber
Er wurde gekreuzigt, weil er es wagte, vom Sambhogakaya zum Dharmakaya zu evolvieren



d.h., weil er sich selbst zum Gott erhoben hat. Im Dharmakaya werden Subjekt und Objekt identisch.

Zitat von Wilber

..der Schöpfer und die Kreatur werden so sehr eins, daß beide als seperate Einheiten verschwinden.



Das hört sich alles sehr schön an....
ABER

wir wissen heute nicht, was Jesus gesagt hat. Am Johannesevangelium, worin dieses steht, „Ich und der Vater sind eins“ , ist bis zur Mitte des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts herumgeschrieben und korrigiert worden, damit es theologische Tiefe bekommt. Es war also ein Schreiber aus dem zweiten Jahrhundert, der gesagt hat, „Ich und der Vater sind eins“. Daran ändert sich nichts, wenn Wilber eine Entsprechung aus den Upanishaden findet: „Tat tvam asi“ (Du bist Das).

Für Buddhisten selbst ist es kein Problem, wenn buddhistische Texte erst nach Siddharta Gautama Sakyami 's irdischem Dasein erschienen sind, denn, so sagen sie, es gibt viele Buddhas. Jedem Menschen ist es grundsätzlich theoretisch möglich, dass er die drei Körper Buddhas bewusstseinsmäßig erfassen kann. Darum hat jeder Mensch das Potential eines Buddhas in sich, wenn man so will. Von einem theologischen christlichen Schreiber gehe ich aber nicht davon aus, dass er im Sambhogakaya oder Dharmakaya ist, schon deshalb nicht, weil die christliche Kirche ziemlich exoterisch durch ihre Geschichte gegangen ist. Es mag den Schreibern des Johannesevangeliums bestenfalls um Sehnsucht nach Transzendenz gegangen sein, mehr aber nicht. Natürlich hat es christliche Mystiker wie Jakob Böhme gegeben, die der Dharmakaya-Religion, dem Buddhismus, sehr nahe kommen, traue aber kirchlichen Schreibern solch ein Bewusstsein nicht zu. Der Kirche ging es immer um Macht. Das war's dann auch schon.

Über die LEERE schreibt Jakob Böhme:

„Wer es findet, findet Nichts und alle Dinge. Aber wie findet er Nichts? Derjenige, der es findet, der findet einen übersinnlichen Abgrund, der keinen Grund hat, auf dem man stehen könnte; und er findet auch, daß nichts ihm gleicht, weshalb man es zu Recht mit Nichts vergleichen kann, denn es ist tiefer als jedes Ding. Und weil es Nichts ist, ist es frei von Allen Dingen und ist es jenes einzige Gut, das ein Mensch weder ausdrücken noch aussprechen kann, weil es Nichts gibt, mit dem man es, um es auszudrücken, vergleichen könnte.“

(zitiert in "Halbzeit der Evolution")


Kommen wir noch einmal kurz zur Tiefenpsychologie und zum Kult der Großen Mutter


Wilber schreibt, die Große Mutter sei die phallische oder hermaphroditische Mutter - die Mutter, die männlich und weiblich zugleich ist, die Schlangenmutter, die uroborische Mutter.

Zitat von Wilber
Und das gilt nicht nur für die Mythologie. Die moderne Tiefenpsychologie hat herausgefunden, daß die gesamte Entwicklung des Kleinkindes von einer hermaphroditischen Atmosphäre und bisexuellen Gefühlen durchdrungen ist.



Und irgendwann kam dann eben die Trennung von feminin und maskulin. Das Kind wächst aus dem typhonischen Zustand heraus und differenziert die Geschlechter, auf gesellschaftlicher Ebene entwickelte sich eine Trennung vom Matriachart (allerdings ohne Unterdrückung der Männer, deshalb der Ausdruck Mariachart in diesem Zusammenhang eher verwirrend ist) zum Patriachart.

Zitat von Erich Fromm in „Anatomie der menschliche Destruktivität“
Nach der älteren Arbeitsteilung zu schließen, in der die Männer auf die Jagd gingen und die Frauen Wurzeln und Früchte sammelten, dürfte der Ackerbau die Entdeckung der Frauen und die Viehzucht die der Männer gewesen sein...Die Fähigkeit der Erde und der Frau Leben zu gebären..gab der Mutter ganz natürlich eine Vorrangstellung in der Welt der frühen Ackerbauern.



Mircea Eliade
schreibt in der "Geschichte der religiösen Ideen Band 1

Zitat von Mircea Eliade
Da die Frauen bei der Züchtung der Pflanzen eine entscheidende Rolle gespielt haben, gehören ihnen auch die bebauten Felder...



Die Idee, dass Männer im Matriarchat unterdrückt worden seien ist Humbug von irgendwelchen Feministinnen, das deutet Wilber an, auch wenn er sich gewählter ausdrückt als ich. Als Beispiel für eine neolithische Kultur lese man über die anatolische Siedlung Çatal Hüyük, in der auch die Große Mutter verehrt worden ist. In dieser Ausgrabungsstätte hat man viele Knochenreste gefunden, niemand scheint dort durch Gewalt umgekommen zu sein. Mord und Totschlag gab es nicht. In so einer Atmosphäre kann ich mir auch keinen Sexismus vorstellen, was letzten Endes auch eine Form der Gewalt ist.

Europäische Dissoziation

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich die Krise, in die die Menschheit nun gefallen ist, richtig begriffen habe:

Die ichhafte Struktur hat sich ausgebildet, nun zeigt sich das Ego des Individuums. Die Ackerbauern hatten noch ein großes Gemeinschaftsgefühl, doch nun entwicketen sich die Menschen zu selbstbewussten Individualisten. Vielleicht ist die Krise darin zu verstehen, weil sich der Mensch, in dem er sich von der chtonischen Großen Mutter losriss, aus einer inneren Naturverbundenheit herausgerissen hat, war doch die Große Mutter mit ihren biologisch naturhaften Aspekten eine Naturgöttin. Den Menschen ging die Ehrfurcht vor der Natur abhanden, die natürlichen Instinkte lagen nun brach, stattdessen bekam der Verstand einen enormen Entwicklungsschub, der Mensch einen sog. freien Willen. Auf Seite 220 entdecke zu meinen Ausführungen das treffende Zitat:

Zitat von Ken Wilber
Um sich arrogant über die Schöpfung erheben zu können, musste die Ego-Struktur die Große Mutter mythologisch, psychologisch und soziologisch unterdrücken und verdrängen.



Erich Fromm schreibt in seiner "Anatomie der menschlichen Destruktivität", dass in der Zeit der ersten Hochkulturen erstmals in der Geschichte der Menschheit destruktive Aggressionen vorkommen. Das ist der Preis, den die Menschheit mit dieser Entwicklung zahlen musste.

Ken Wilber beschäftigt sich mit der Philosophie Hegels, und der Neubewertung von Habermas. Hegel erkannte, „daß die Identität des Selbstbewusstseins dem Menschen nicht von Anfang an mitgegeben wurde, sondern nur als eine verstanden werden kann, die sich entwickelt hat.“ Wilber zitiert das aus T. McCarthy: The Critical Theory of Jürgen Habermas, Cambridge, Mass., 1978 und Wilber bemerkt:

Zitat von Wilber
Heute mag das selbstverständlich erscheinen; vor Hegel hätte das kein Philosoph verstanden.



Ken Wilber hat völlig Recht, wenn er die Entwicklung zum Patriarchat tragisch heraushebt. Es ist eine „Morgendämmerung des Elends“ unter der wir heute noch leiden.

Es folgt wichtiges Zitat von Ken Wilber, das ich hier in voller Länge wiedergeben möchte, weil es das Grundproblem unserer Zeit wiederspiegelt, und Wilbers typische Art und Weise dokumentiert, wie er es dem Leser nahe bringen möchte:

Zitat von Wilber

Nicht die Existenz der ichhaften Struktur selbst ist unser Gefängnis, sondern die exklusive Identifizierung unserer Bewußheit mit dieser Struktur. Die Struktur selbst enthält viel Gutes – eine logische und syntaktische Brillianz, die die Medizin, Naturwissenschaft und Technologie hervorbrachte. Wir lassen diese Struktur jedoch nicht für uns arbeiten, weil wir diese Struktur selbst sind. Vielmehr haben wir uns völlig mit ihr identifiziert, dadurch dem Ego das Atman-Projekt aufgebürdet und die Erzeugnisse des Ego mit Forderungen korrumpiert, die sich nicht erfüllen können. So haben wir beispielsweise an die Technologie die unsinnige Forderungen gestellt, sie solle unsere Erde zum Himmel machen, was im Grunde bedeuten würde, sie solle das Endliche zum Unendlichen machen.



Man möge sich gar nicht vorstellen wollen, was passiert, wenn alle Server auf der Erde gleichzeitig ihren Geist aufgeben würden.

Zum Atman-Projekt gehört auch Sadismus und Krieg (Macht!!)


Kurz wende ich mich Erich Fromm zu:

Zitat von Erich Fromm in "Anatomie der menschlichen Destruktivität"
Ich selbst bin aufgrund meiner klinischen Erfahrung in der psychoanalytischen Therapie seit langem zu der Überzeugung gekommen, daß Sadismus seinem Wesen nach das leidenschaftliche Begehren nach unbegrenzter, gottähnlicher Beherrschung von Menschen und Dingen ist (E.Fromm, 1941).



Nachdem ich dieses von Erich Fromm gelesen hatte, habe ich erst verstanden, warum Ken Wilber geschrieben hat, der Heilige Krieg pervertiere die Große-Mutter-Religion.

Liebe Grüße
mArtinus




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
zuletzt bearbeitet 31.07.2010 20:14 | nach oben springen

#119

RE: Ken Wilber

in Sachen gibt's - Sachbuch 03.08.2010 14:31
von Roquairol • 1.072 Beiträge

Zitat von Martinus
Die Wissenschaft beschäftigt sich durchaus mit dem „Innen“, auch wenn sie es im Quadranten O-R sucht. So ist für Moral offenbar die Amygdala zuständig. Die Moral, die in der Quadrantentheorie bei Wilber O-L liegt, versetzt die Neurobiologie nach O-R. Ich denke mal, dieses ist nach Wilber eine Quadranten-Verwechslung, denn die Moral gehört O-L hin. Die Kontroverse geht ja dahinaus, dass Reduktionisten sagen, Freude, Trauer, Begierde usw. (Innen) kann man im Gehirn (Außen) ausmachen. Auch wenn sich ein Mensch verliebt, geschehen bestimmte Reaktionen im Kopf. So wird nach neuronalem Korrelat des Bewusstseins geforscht (hier), auf diese Weise die Forschung im Quadranten O-R bleibt.



Die Wissenschaft mag das "Innen" in O-R suchen, aber sie kann es dort nie finden, denn auch wenn die Forscher mir sagen, dass sich meine Gedanken im Gehirn abspielen und sie dies objektiv erforschen können, so bleibt das Gehirn doch immer "außen". D.h. der Wissenschaftler untersucht fremde Gehirne, er kann nie sein eigenes Gehirn bei der Arbeit unters Mikroskop legen. Es bleibt immer eine unüberbrückbare Kluft zwischen dem, was ich als eigenes Bewusstsein, Gedanken usw. empfinde, und was die Hirnforschung mir darüber mitteilen kann. Das Problem liegt vor allem darin, dass viele Wissenschaftler dem Quadraten O-L einfach jede Berechtigung absprechen. Das führt dann zu solchen absurden Diskussionen wie die über die Willensfreiheit: Hirnforscher sagen, es gäbe keine Willensfreiheit, weil alle Handlungen durch gewisse Prozesse im Gehirn determiniert sind. Sie verstehen nicht, dass diese Prozesse völlig irrelevant sind, weil das Phänomen der Willensfreiheit in O-L und nicht in O-R anzusiedeln ist: Also wenn mein Ich-Bewusstsein etwas von den biochemischen Prozessen in meinem Gehirn wüsste, dann wäre es determiniert - aber es weiß davon ja nichts, und gerade darin besteht die Willensfreiheit ...

Beide Quadranten haben jeweils ihre Berechtigung, und darin liegt ja Wilbers Ziel: Eine Integration, in der alle Quadranten in der ihnen entsprechenden Art und Weise anerkannt und mit Leben erfüllt werden.




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#120

RE: Ken Wilber

in Sachen gibt's - Sachbuch 18.08.2010 12:02
von Krümel • 499 Beiträge

Gestern Abend habe ich wie so oft „Quarks & Co.“ gesehen, Ranga ist eben ein nettes Kerlchen.

Es gibt da ja neue Erkenntnisse in der Evolutionstheorie, dass ein sogenannter Lamarckismus gar nicht mehr so undenkbar ist. Studien belegen aus Holland, dass äußere Ereignisse, sprich umweltbedingt, doch unsere genetische Disposition verändern können. (Ende 1944 war dort die extreme Hungersnot und die Kinder, die in dieser Zeit geboren wurden, tragen eine Disposition für Schlaganfall, Fettleibigkeit usw., man hat genetisch bei ihnen, sogar bis heute in die Enkelgeneration, sprich die 3. Generation, festgestellt, dass dort Abschnitte in der DNA aktiviert sind, die aus dieser Hungersnot resultieren.) Ist also die Evolution doch auch von außen lenkbar?

In wieweit spricht das für oder gegen Wilbers-Theorien?

Ich war schon damals in Bio-Leistung sehr für Lamarcks-Theorien, warum sollte Evolution nicht auch nach „Plan“ geschehen? Habe gestern dann noch unter Epigenetik recherchiert, ziemlich komplex, aber warum nicht?

Krümel

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