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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst


#436

RE: Dostojewski

in Die schöne Welt der Bücher 24.10.2012 18:15
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

"Und da Dostojewski seine Überzeugungen und Zweifel nicht festlegt oder in eine Richtung drängt, also "weniger schaubar macht", als vielmehr den Leser dazu bringt, ihn sich durch gedankliche Meditation unmittelbar am Text zu erschließen"

Amüsant. Sah / sehe ich eigentlich auch so und just lese ich gerade einen Text von Rudolf Neuhäuser in dem er Bachtins Polyphonie streckenweise in Frage stellt und an Beispielen erläutert, welche rezeptionssteuernden Verfahren Dostojewski angewandt hat, um eben doch "sein Ding" an den Leser zu bringen. Also der Neuhäuser und der Gerigk - von welchem Stern kommen die eigentlich?! Ich kann seine Argumentation sogar nachvollziehen.
Meine Dostojewski-Einseitigkeit ist fragwürdig - aber es wird einfach nicht langweilig


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#437

RE: Dostojewski

in Die schöne Welt der Bücher 24.10.2012 23:11
von Taxine • Admin | 6.671 Beiträge

Zitat von Jatman1 im Beitrag #436
Amüsant. Sah / sehe ich eigentlich auch so und just lese ich gerade einen Text von Rudolf Neuhäuser in dem er Bachtins Polyphonie streckenweise in Frage stellt und an Beispielen erläutert, welche rezeptionssteuernden Verfahren Dostojewski angewandt hat, um eben doch "sein Ding" an den Leser zu bringen.


Im Grunde vermittelt Dostojewski "sein Ding" nur, indem er seine Figuren um jene Frage kreisen lässt, bis der Leser gezwungen ist, Partei zu ergreifen oder mit einer Sichtweise übereinzustimmen. Auch geschieht das natürlich mittels Sympathien oder Antipathien für die jeweilige Figur. Aber was mir eben auffällt, sind die immer vorhandenen zwei Seiten jener Gestalten. Schön zu beobachten in "Die Dämonen". Da gibt es einige Figuren, außer jetzt vielleicht Pjotr Werchowenski, der ein ziemlich eindeutiges Gesicht aufweist, die dem Leser alle Abstufungen präsentieren, die nur vorstellbar sind, wo ein steter Wechsel zwischen Sympathie und Abneigung vorherrscht, so dass alleine zu sagen, dieser Mensch sei gut oder schlecht, handelt richtig oder falsch, ist sympathisch oder nicht, nicht möglich ist, was gleichzeitig bedeutet, dass Dostojewski den Leser gar nicht erst lenkt oder voranstößt, im Sinne: nun erkenne doch, was ich sagen will. Die Figuren stehen tatsächlich in einer Art Kreis und agieren in diesem, sind nicht so sehr widersprüchlich, sondern eben in ihrer Welt gefangen, zeigen, wer sie sind, mit all ihren Fehlern, Zweifeln, Gedankengängen, Erwartungen. Der Selbstmörder Kirilloff, Stawrogin, Schatow, der Vater von Pjotr usw. oder auch im "Idioten" besonders schön. Wie viele Leser finden Fürst Myschkin, den von Dostojewski kreierten "schönen Menschen", unannehmbar, während andere ihn für buddhistisch weise und urteilsfrei halten. Hier spiegelt sich in der Figur alleine dessen Handlung, die der Leser auf eine Wirklichkeit anwendet und irgendwo (darum vielleicht auch Dostojewskis "Ding") auch dazu gezwungen wird. Er versetzt sich in diese Begegnung und urteilt über Myschkin als eine reale Gestalt, die erträglich oder unerträglich bleibt. Könnte man Myschkin alleine im Buch und in seiner eigenen Geschichte belassen, würde man ihn vielleicht weniger streng beurteilen oder weniger lieben.
Und besonders schön natürlich der "Kellerlochmensch". Ist er sympathisch? Nein. Sagt er die Wahrheit und trifft ins Schwarze? Erschreckend häufig.
Hier arbeitet Dostojewski mit seinem vollständigen Realismus auf den Menschen im Menschen. Er bedient sich einer bestimmten Einstellung (erneut "sein Ding"), die er durch seine Figur hindurchschimmern lässt, und das in einer so extremen Form, als könnte er sich in jedwede Meinung perfekt hineinversetzen, was dann natürlich auch den Leser wie eine geballte Ladung trifft. Für mich wirkt das immer so, als hätte Dostojewski sich eine Figur vorgenommen und deren Ansicht dann in aller Konsequenz selbst durchdacht und durchgespielt, um ihr dann wiederum eine andere Figur mit gegenteiliger Ansicht gegenüberzustellen.
"Sein Ding" mag auch weiter durch die Darstellung hindurchschimmern, die eine Figur unschuldig werden lässt, wie kranke Menschen oder Kinder. Auch versteht er es, Menschen oder besser gesagt, Figuren sehr hässlich werden zu lassen. Dennoch sind diese Nuancen so fein, dass sie nie aufdringlich auf etwas deuten und damit moralisieren. Und das genieße ich eben bei Dostojewski. Eigentlich kann man kaum sagen, er hätte einen eindeutigen Standpunkt eingenommen. Weder ob er gläubig noch ob er ungläubig war, lässt sich eindeutig aus seinen Romanen erkennen. Diese Werke öffnen einen weiten Raum an Deutungen, deshalb kann auch so viel in sie hineininterpretiert werden.


Zu Onasch: Heute ist das zweite Buch "Der verschwiegene Christus" eingetroffen. Freue mich auch auf diese Lektüre.

Bei Onasch habe ich noch ein schönes Zitat von L. Müller gefunden:

Zitat von Müller
"Im Grunde gibt es für Dostojewski nur ein Wunder. Christus hat es nicht getan, sondern er ist es. Die Persönlichkeit Christi ist das Wunder der Weltgeschichte, da in ihr das absolute Ideal zur konkreten Wirklichkeit, das Wort zum Fleisch geworden ist."



Wie treffend.




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 24.10.2012 23:44 | nach oben springen
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#438

RE: Dostojewski

in Die schöne Welt der Bücher 25.10.2012 13:56
von Taxine • Admin | 6.671 Beiträge

Nicht nur Dostojewski in der Literatur, auch in der Kunst wurde Christus zum normalen Menschen gemacht. Das Bild von Hohlbein d. J. kennen wir bereits. Ein schönes Bild habe ich aber auch bei Onasch in "Dostojewski als Verführer" gefunden. Jesus in seiner ganzen Vermenschlichung.

Iwan Nikolajewitsch Kramskoi "Christus in der Wüste"


(Quelle: yatego)


"... dass nämlich dieser Jesus, der ihn so ergreift, nicht der Gottessohn und Erlöser des Dogmas sei, sondern der reine, unschuldige und vollkommene Mensch, der unter uns Menschen wie eine unbegreifliche, beinahe göttlich zu nennende Ausnahmeerscheinung und doch in schlichter, aufrichtiger, jedem sich erschließender Menschlichkeit lebte."

(K. Onasch "Der verschwiegene Christus", Union Verlag Berlin, S. 39)




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 25.10.2012 21:57 | nach oben springen
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#439

RE: Dostojewski

in Die schöne Welt der Bücher 25.10.2012 20:02
von Taxine • Admin | 6.671 Beiträge

So ... habe mir die Doku über Anna Grigorjewna nun endlich in Ruhe angesehen. Sie ist gut gemacht, wenn sie auch kaum Neues eröffnet. Es wird erzählt, wie sie Dostojewski kennenlernt, mit ihm am "Spieler" gearbeitet hat, es wird über ihre Familie berichtet, ihren Bruder, wie sie sich entscheiden musste, Dostojewski zu heiraten. (Amüsant, wie Dostojewski in seinem Wesen dargestellt wird, aufbrausend und ungeduldig, als er ihr diktiert hat). Dann natürlich, wie sie mit ihm in Dresden lebt und er immer wieder um Geld bettelt, statt zurückzukommen, während er an Roulette-Tischen alles verspielt. Schließlich die Geburt der Kinder, der Tod des Kindes, die Rückkehr nach Russland, das Leben in eben der Wohnung, in der jetzt das Dostojewski-Museum ist, wo er bis morgens arbeitete und auf der Couch schlief, und sie nebenan mit den Kindern nächtigte, immer ein Auge offen, ob er nicht zusammenbrach und einen Anfall bekam. Schließlich dann sein Tod, den er wohl ahnte. Im Grunde findet sich im Film also nur die Grundstory aus ihren Tagebüchern und Briefen zusammengetragen, allerdings dezent, nicht mit dem typischen Pathos. Mehrere Kenner von Dostojewski und von Anna Grigorjewna berichten dazu Einzelheiten und bestimmte Szenen werden nachgespielt.

Was mir gefallen hat, ist das Drehen genau an dem Ort, den ich durchwandert habe. Sie haben wohl im Dostojewski Museum alles benutzen dürfen. Auch fand ich schön, endlich mal die Stenografie Annas auf dem Papier zu sehen, weshalb man sich darüber dann vorstellen kann, wie schwer es gewesen sein muss, ihre Tagebücher zu entziffern.
Wenn ich bedenke, dass die Doku 2010 gedreht wurde und ich im gleichen Jahr in diesem Museum war ... Durch den Film konnte ich auch noch einmal die Details zu all den gesehenen Dingen vertiefen. War ein guter Tipp, Jatman.

Ich würde gerne wissen, wie Dostojewskis Stimme tatsächlich geklungen hat.




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 25.10.2012 20:09 | nach oben springen
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#440

RE: Dostojewski

in Die schöne Welt der Bücher 25.10.2012 20:20
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

Für mich immer wieder der Wahnsinn > Es gibt hier anner Autobahn so eine Werbung: "Ich bin zwei Öltanks!"

Bei dem was Du alles tust bzw. schaffst: "Bist Du 4 Taxine?"

Feedback auf Deine Texte - morgen.


www.dostojewski.eu
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#441

RE: Dostojewski

in Die schöne Welt der Bücher 25.10.2012 20:29
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

Wie klang er? Verstehe ich - die Neugier.

Ein Zuhörer seiner Lesungen:
„Er konnte erstaunlich gut lesen. So etwas habe ich seither nicht mehr erlebt. Lesen kann man es allerdings kaum nennen, auchg nicht Deklamation; es war gelebtes leben – eine kranke, epileptische Fieberphantasie.“

ab 1:45 min > vielleicht so



aber eher so, könnt ich mir vorstellen; auch vom Wesen her:




Übrigens, Turgenjews Stimme, stimmt überhaupt nicht. Der hatte nämlich eine sehr dünne hohe Stimme, und erst recht im Gegensatz zu seiner körperlichen Erscheinung


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#442

RE: Dostojewski

in Die schöne Welt der Bücher 25.10.2012 22:00
von Taxine • Admin | 6.671 Beiträge

Zitat von Jatman1 im Beitrag #440
Für mich immer wieder der Wahnsinn > Es gibt hier anner Autobahn so eine Werbung: "Ich bin zwei Öltanks!"

Bei dem was Du alles tust bzw. schaffst: "Bist Du 4 Taxine?"



Wieso? Ich schreibe doch nicht mehr als du?


Zitat von Jatman1 im Beitrag #441
Wie klang er? Verstehe ich - die Neugier. (...)

Ja. In der Doku war mir die Stimme des Darstellers richtig unangenehm.
Die von dir gezeigte ist heiser, dennoch sympathischer. Die von Turgenjew, auch wenn sie dem Original überhaupt nicht entspricht, ist noch angenehmer. Und herrlich, die Darstellung und das angekratzte Verhältnis zwischen beiden. Was ist das eigentlich, eine Serie? Scheint so zu sein. Von Khotinenko. Wow. Werde mir alle Teile demnächst auch mal reinziehen. Ist ja der Wahnsinn. Dostojewskis Leben als Film.




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 25.10.2012 22:10 | nach oben springen
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#443

RE: Dostojewski

in Die schöne Welt der Bücher 25.10.2012 22:34
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

Es geht ja nicht nur um diesen Thread. Du schreibst, du malst / zeichnest, du liest - tanzt auf X Hochzeiten. Kennst das, kennst jenes. Mir ist nicht so recht klar wie man das alles in e i n Leben bekommt ;-)

Der Film ist ein Film. Keine Serie. Der lief 2010 oder 2011 erstmals im russischen Kino. War, wie mir schien, ein großes Ding. Wenn Du etwas googelst, findest Du auch Making Ofs von dem Film und oder Interviews mit dem Dostojewski-Darsteller.

Es gibt auch einen Film, der den Anfang der Beziehung zu Snitkina zeigt. Der Name sagt alles. Er heißt 26 Tage im Leben Dostojewskis Ist von 1880
Hier gibts viel Film davon, zumindest eine gute Stunde lang:


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#444

RE: Dostojewski

in Die schöne Welt der Bücher 25.10.2012 22:39
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

Eine merkbar heisere Stimme hatte er. Das ist mehrfach belegt. Das hat er sich so ca. in der Zeit weggeholt, als er (bin jetzt nicht sicher) in das Tschermak-Internat sollte. Wäre beinahe an dieser Kehlkopfgeschichte gescheitert. Über die Ursachen des Zustandekommens ist jedoch nichts bekannt. Nur eben, dass seine Stimme, dann bereits als Kind bzw. Jugendlicher ausnahmslos heiser / rauh war.
Dadurch hat er sicherlich noch kauziger gewirkt.


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#445

RE: Dostojewski

in Die schöne Welt der Bücher 25.10.2012 22:43
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

Ist ein Stück aus dem 26 Tage-Film. So kann ich mir ihn vorstellen.


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#446

RE: Dostojewski

in Die schöne Welt der Bücher 26.10.2012 13:53
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

„Auch geschieht das natürlich mittels Sympathien oder Antipathien für die jeweilige Figur.“
Beim Lesen Neuhäusers habe ich es in etwa verstanden. Nur wiedergeben mit eigenen Worten – schwierig: Dostojewski schafft es sogar unabhängig, durch überlegte und fein gestrickte unbenannte aber intuitiv zu erfassende Kontexte und sich aufdrängende kaum bewusste Assoziationsketten Meinung und Auffassung an den Lesersympathien vorbeizulenken.

„Myschkin“
Nunja Myschkin. Ja bei ihm gibt es sicherlich nur dafür oder dagegen. Und sicherlich hat Dostojewski tausend Dinge in diesem Buch angesprochen, vermittelt, berücksichtigt etc. Da tobt sich die Sekundärliteratur ja reichlich aus.
Aber die grundsätzliche Idee ist bei Myschkin ja nun glaube unzweifelhaft augenscheinlich und für den nicht weiter grabenden Leser einer wie mir sein tut) durchaus erschöpfend.

„Kellerlochmensch“
Der ist sicherlich ein gutes Beispiel für das „Verfahren“ Dostojewskis Leserlenkung. Man gelangt zu Meinungen, „unabhängig“ von Sympathie und dem tatsächlich ausgeführtem Text.

"Christus in der Wüste"
Das Bild findet man in der Sekundärliteratur in Bezug Dostojewski und Religiosität übrigens des öfteren ;-)

„Anna . . . nicht mit dem typischen Pathos“
Das hat es vermutlich, dann doch, auch ohne Neuigkeiten, etwas interessant gemacht, da man ja beim Lesen immer von seiner Voreingenommenheit begleitet wird. Die ist dann vielleicht etwas weiter weg.

„ ist das Drehen genau an dem Ort, den ich durchwandert habe.“
Kann ich mir gut vorstellen. Für Dich wurde da ja Wissen, Erleben, Erinnerung, Vision in Bild und Ton umgesetzt. Das sieht man dann schon mit einem besonderen Blick, besser gesagt Gefühl.


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#447

RE: Dostojewski

in Die schöne Welt der Bücher 27.10.2012 14:26
von Taxine • Admin | 6.671 Beiträge

Hallo Jatman,

vielen Dank für die Hinweise auf die verschiedenen Dostojewski-Filme. Ich habe mir den 8 x 55 Minuten Film von Khotinenko angesehen und bin mehr als begeistert. Die Schauspieler sind einfach nur genial, besonders der Dostojewski-Darsteller, der dessen Wesen hervorragend ins Licht rückt. Ich hoffe, die bringen den Film auf Dvd heraus und synchronisieren ihn noch. Die Frauen sind ebenfalls großartig in ihren Rollen, insbesondere Polina und Anna, aber auch die erste Frau in ihrem Wesen.
Der Film deckt im Grunde alle Begegnungen ab, hört nicht mit Dostojewskis Tod auf, sondern endet noch vor dem Schreiben der Karamasows. Auch die Begegnung mit Turgenjew ist an vielen Stellen leicht verfälscht, so ist das Betteln um Geld gar nicht erwähnt, stattdessen aber reizt ihn zu diesem Zeitpunkt Turgenjew mit der Stawrogin-Beichte. Hauptthemen sind Sibirien (wahnsinnig gut umgesetzt), die Liebes-Begegnungen und die Spielsucht.
An dieser Stelle ist der ganze Film (leider nur auf Russisch) zu finden (aber zum Reingucken reicht's): Khotinenko "Dostojewski".
Ich werde den Film auf jeden Fall noch mehrmals ansehen. Mal wieder zeigt er deutlich, dass Dostojewskis Leben fast spannender als seine Romane war.

Klar, dass ich nun auch den "Jüngling" in Angriff nehme, ... das letzte, noch von mir ungelesene Werk.

---

Bei Onasch einen schönen Auszug aus Dostojewskis Brief gefunden:

"Sie (die Kritiker) können nicht begreifen, wie man einen solchen Stil schreiben kann. Sie sind es gewöhnt, in jedem Werk die Fresse des Autors zu sehen. Ich habe die meinige nicht zeigen wollen."

(Brief 1846 an Michail)


Zitat von Jatman
„Dostojewski schafft es sogar unabhängig, durch überlegte und fein gestrickte unbenannte aber intuitiv zu erfassende Kontexte und sich aufdrängende kaum bewusste Assoziationsketten Meinung und Auffassung an den Lesersympathien vorbeizulenken.“



Onasch spricht ebenfalls von durch Dostojewski bewusst verwendeter Stilmittel, die eine religiös verdichtete Atmosphäre schaffen, ohne sie direkt ins Bild zu setzen, als ein Benutzen religiöser Symbolik, die der Leser durch die Geschichte mittels Vergleich des Bekannten (z. B. aus den Evangelien) automatisch erfasst und verbinden kann, manchmal nicht einmal bewusst.


---

Weitere Bilder bei Onasch sind die Werke von Michail W. Nesterov:

"Die große Nonnenscherung", Gemälde 1897/1898
(Quelle: stpetersburg-guide.com)


"Vision des Knaben Bartholomäus (heiliger Sergi), 1890
(Quelle: xaxor.com)



"Das heilige Russland", 1906
(Quelle: olivia kroth blog)




Liebe Grüße
Taxine




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 27.10.2012 14:38 | nach oben springen
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#448

RE: Dostojewski

in Die schöne Welt der Bücher 27.10.2012 15:45
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

Die Stelle aus dem Brief an seinen Bruder ist mir bekannt. Fand ich auch prima. Habe ich auch irgendwo auf meiner Seite "verbraten" - weiß aber nicht mehr wo Die bezog sich glaube auf den Doppelgänger. Da war er angenervt weil der Doppelgänger nicht so gut ankam. Und so war er bei kritischen Anmerkungen, die ihn dann noch mit persönlich einbezogen, etwas dünnhäutiger als er es eh schon war: Der Nicht-Gelittene und Nicht-Verstandene. Später hat er sich über interpretative Zuschreibungen im Wesentlichen nicht mehr groß aufgeregt.

Danke für den Film-Link. Ich werde mal da in die Omsker Zeit reinschauen - die kenne ich nähmlich noch nicht.

"Mal wieder zeigt er deutlich, dass Dostojewskis Leben fast spannender als seine Romane war."
Eben! So entstand ja eben auch vor X-Jahren die Idee des Drehbuchs. Nunja . . .
Dass man da ein paar Fakten leicht verschiebt ist dramaturgisch, denke ich, völlig in Ordnung. Deine Begeisterung zeigt ja, dass es dem Gesamtwerk kaum einen Abbruch getan hat.


Coole Sache: Auf zwei unterschiedlichen Ebenen gelangen wir, in etwa zu gleicher Zeit, zu ähnlichen Fakten / Annahmen / Beschreibungen (Onasch und Leserlenkung)


www.dostojewski.eu
zuletzt bearbeitet 27.10.2012 15:45 | nach oben springen
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#449

RE: Dostojewski

in Die schöne Welt der Bücher 27.10.2012 16:28
von Jatman1 • 1.188 Beiträge

Die Idee, den Film vor Beginn des Schreibens der Karamasow (bzw. Endphase des Schreibens / Veröffentlichung), enden zu lassen, finde ich genial. Dostojewski hing mit philosphischen Religionsmystiker Solowjew und dem reaktionären Panslawisten Pobedonoszew ab und war auf dem mystischen Trip. Die Karamasow waren "lediglich" das "Best of" seiner bisherigen Ideen / Werke. Und die Riesennummer wurde aus den Karamasow ja auch erst so richtig nach seinem Tode. Das Begräbnis wäre zudem nur Zeitklau im Hollywood-Style gewesen. Da besaß man die Größe und hat drauf verzichtet. Sehr gut. Dramaturgisch hat man den Film beendet, wo es aufhörte dramatisch zu sein.

"hört nicht mit Dostojewskis Tod auf, sondern endet noch vor dem Schreiben der Karamasows"
Geschrieben dürfte er doch bereits an den Karamasow > es war doch die Puschkin-Rede im Film. Da hatte er doch längst das Tagebuch eines Schriftstellers eingestellt um die Karamasows zu schreiben.


www.dostojewski.eu
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#450

RE: Dostojewski

in Die schöne Welt der Bücher 27.10.2012 17:57
von Taxine • Admin | 6.671 Beiträge

Zitat von Jatman1 im Beitrag #449
"hört nicht mit Dostojewskis Tod auf, sondern endet noch vor dem Schreiben der Karamasows"
Geschrieben dürfte er doch bereits an den Karamasow, es war doch die Puschkin-Rede im Film. Da hatte er doch längst das Tagebuch eines Schriftstellers eingestellt um die Karamasows zu schreiben.


An die Puschkin-Rede kann ich mich nicht erinnern, nur dass er ein Gedicht von Puschkin vorträgt. Der letzte Roman im Film, an dem er arbeitet, ist „Die Dämonen“. Dann wird nur per Sprecher erzählt, dass er noch die „Brüder Karamasow“ schreiben wird. Auch finden im Film häufiger Vor- und Rück-Sprünge statt, so dass sich z. B. Dostojewski immer mal wieder an Sibirien erinnert. Vielleicht war sie dort als Verweis auf ein Später dazwischen? In der Doku "Anna Grigorjewna" wurde die Puschkin-Rede erwähnt, auch die zahlreichen Menschen gezeigt, vor denen er gesprochen hat. Auch die Totenmaske wurde gezeigt, bei deren Anblick ich, ähnlich wie bei der Zeichnung von Kramskoi "Dostojewski auf dem Totenbett", mal wieder dachte, dass sein Gesicht sehr ruhig und fast lächelnd wirkte.

Was mir dann wieder einfällt: im Film fand ich natürlich auch die Portraitsitzung gut umgesetzt, als Perow ihn malte. Besonders schön die Hände, die beim Schauspieler dem echten Dostojewski in nichts nachstehen.


Bei Nötzel habe ich auch noch einmal etwas über Dostojewskis Stimme gefunden:

Zitat von Nötzel
„In Dostojewskis siebzehnten Lebensjahr, als er gerade nach Petersburg zur Ingenieurschule abreisen sollte, befiel ihn eine eigentümliche Halskrankheit. Er vermochte sich lange Zeit hindurch nur flüsternd verständlich zu machen. Nach der Ansicht seines Bruders Andrei hat Dostojewski diese Krankheit sein ganzes Leben lang nicht überwunden: von daher stammte jener dumpfe Klang in seiner Stimme, die allzu sehr Bruststimme gewesen sei. Dostojewski ist bekanntlich mit neunundfünfzig Jahren an einer Halskrankheit gestorben, die ihn die letzten sieben Jahre seines Lebens zu alljährlichem Kuraufenthalt (in Ems) gezwungen hatte. Die Ursache mag in diese frühen Jünglingszeit zurückreichen.“


(Nötzel "Das Leben Dostojewskis", S. 25/H. Haessel Verlag Leipzig)

Für mich war es auch richtig erstaunlich, wie ich mich während des Films an diese Stimme gewöhnt habe, sie sogar richtig mochte und jetzt auch nachvollziehen kann, dass seine Lesungen trotz der Heiserkeit durch das spannende Vortragen Anklang fanden und Begeisterung auslösten. Im Film war mir am Ende besonders dieses kurze „Hm“ angenehm, dass Dostojewski (bzw. der Darsteller) immer dann ausstieß, wenn er nicht weiterwusste, sich wehren wollte oder resigniert hat. Überhaupt wurden sehr liebenswerte Eigenarten hervorgekehrt, die wahrscheinlich auch nur mir gefielen. Sein Humor aber kam besonders gut zur Geltung, auch seine Strenge und die Wutanfälle.

Die Kritiken zum Film fielen (typisch russisch) etwas unerbittlich aus. So soll Khotinenko den Film nicht einmal zu Ende gebracht haben, so ein Kritiker (bla bla), obwohl mir, wie dir, auch gerade dieser Abschluss gefallen hat, da nur die Zeit ins Auge gefasst wird, wo das Leben wirklich spannend war. Auch sind eben einige Unstimmigkeiten und Verfälschungen enthalten (die aber dem Plot dienen und somit ihren Zweck erfüllen). Turgenjew – Dostojewski hatte ich ja schon genannt. Des Weiteren gab es noch weitere Fehler, die ich allerdings gar nicht so sehr störend finde. Klar, dass am Anfang Dostojewski auf dem Schafott steht und bereits den Sack über den Kopf gezogen bekommt, während er eigentlich unten stand, ist ungenau und sicherlich auch dramatisch überspitzt, ebenso Polina als übereifrige Studentin, in einer Zeit, in der Frauen noch keine höhere Bildung genießen konnten. Auch soll sie stark nach den Aufzeichnungen der Tochter Dostojewskis in ihrem Charakter dargestellt worden sein, was mir allerdings sehr gefallen hat (sowohl als Charakter der eigentlichen Frau als auch in der Leistung der Schauspielerin), weil dadurch wiederum ihr ganz besonderes, selbstbewusstes Wesen gut zur Geltung kam. Auch fällt Dostojewski im Film, als sie als „Bruder und Schwester“ durch Europa reisen und sie den anderen vergessen möchte, wie ein Tier über sie her, so ist es ja nicht wirklich geschehen.
Ungenauigkeiten dienen im Film allerdings der Dramatik. Mag sein, dass das nicht immer richtig ist, aber wieviel näher ist mir Dostojewski als Mensch nun wieder gerückt, eben weil der Film so gemacht wurde.
(Und endlich habe ich überhaupt eine Vorstellung davon gewonnen, wie Dostojewski auf die Frauen und Menschen allgemein gewirkt haben könnte.)


Interessant finde ich übrigens auch diese Aussage Nötzels über Dostojewski (S. 25):

Zitat von Nötzel
„Dostojewski hat übrigens sein ganzes Leben lang die auf eine ganz ursprüngliche Lebenskraft hindeutende Neigung besessen, körperliche Leiden immer auch als geistige, als seelische aufzufassen, die mit Hilfe des Willens zu überwinden wären.“


(e.d)

Liebe Grüße
Taxine




Art & Vibration
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