HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Seltsames Wesen. Sie war ja nicht dumm. Sie dürfte sogar intelligent gewesen sein. Aber nur wenigen Frauen gelang es zu jener Zeit, mit Ihrer Intelligenz aus dem ihnen zugeschriebenen gesellschaftlichen Rahmen (auf Deutsch Ihrem Gatten) zu wirken. Davon ist sie eben auch ein Opfer.
Z. B. die Panjewa, war gescheit, kannte Gott und die Welt und verbrachte ihre letzten Jahre in ärmlichen Verhältnissen. Das war sicherlich nicht ihrem Unvermögen. Man gab den Frauen kaum Raum. Sie mussten sich ihn erkämpfen; unter massiven persönlichen Verlusten. Die Panjewa hätte keinen Frauenparkplatz gebraucht.
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RE: Dostojewski
in Die schöne Welt der Bücher 21.10.2012 17:52von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Nein, dumm war sie nicht, nur etwas selbstgefällig und häufig auch voreingenommen. Immerhin hat sie die ganze Vermarktung Dostojeskis übernommen - z. B. "Die Brüder Karamasows". Sie war tüchtig und hatte Geschäftssinn. Ob sie nun auch intellektuell etwas drauf hatte, weiß ich nicht. Zumindest war sie ein Fan von Dostojewski, noch bevor sie ihn persönlich kannte. Und die Schwierigkeiten, mit denen beide dann zu kämpfen hatten, ermöglichten auch nicht viel Raum, um hochtrabend geistig tätig zu sein, nicht für sie als Frau.
Das stimmt schon.
Wer ist die Panjewa?
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RE: Dostojewski
in Die schöne Welt der Bücher 21.10.2012 18:29von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Und wenn ich das so lese, wird mir wieder bewusst, wie spritzig und geistreich Dostojewski in jungen Jahren war (auch in seinen Briefen gut nachvollziehbar). Verliebt hat er sich also doch ... und natürlich in starke und unabhängige Frauen. Hätte er sie aber auch geheiratet? Er hätte sich nie getraut, oder?
Geistreiche, unabhängige, kokette Frauen hätten ihm nie das ermöglicht, was Anna Grigorjewna ihm bot. Das sollte man dann auch durchaus mal laut aussprechen. Und dennoch gaben diese Begegnungen ihm viel Pulver für seine Romane und Frauenfiguren.
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Geheiratet hätten SIE ihn nicht. Siehe hier. Die bringt es auf den Punkt. D. hat das bekommen was er brauchte und auch wollte.
Hier seine klare Meinunng:
„Die Wissenschaft kommt ganz gut ohne euch aus“, dozierte er vor seinen Bewunderinnen „nicht aber die Familie, die Kinder, die Küche . . . Frauen haben nur eine Berufung: Hausfrau und Mutter zu sein. Eine andere Berufung gibt es für sie nicht; die Frau hat keine, kann gar keine gesellschaftliche Funktion übernehmen. All das sind Dummheiten, Hirngespinste, leere Worte . . .“
in Kjetsaa, Geir; Dostojewskij
Das was ihn angezogen hat, wäre für ihn das Falsche gewesen. Anna ist der faktische Beleg dafür.
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RE: Dostojewski
in Die schöne Welt der Bücher 21.10.2012 20:31von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Tja ja... ein Chauvinist war er durch und durch.
Wie war das in dem einen Film mit Anthony Hopkins? Da sagt auch so ein Professor höherer Wissenschaften, dass Frauen eine Seele hätten, Männer aber Verstand.
Ja, den hat er dann ja auch wunderbar präsentiert.
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Fällt mir gerade ein: Was ist eigentlich mit Onasch?! Hast Du schon was bekommen oder war es für Dich enttäuschend?
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Noch eine schöne Bemerkung:
„Die Schönheit ist dem Weibe zum Anfang gegeben, um den Mann zu fesseln, denn das sittliche Band ist noch schwach. Später ist die Schönheit dann nicht mehr nötig, man liebt das Weib weil man seelisch zusammenwächst (organische Verbindung).“
aus den Tagebüchern eines Schriftstellers
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"Pobedonoszew" war persönlicher Freund Dostojewskijs, und diese Freundschaft wird wohl das Ihrige dazu beigetragen haben, dass der Kampf gegen die Gebrechen dieser (der russisch-orthodoxen) in den Werken des großen Schriftstellers so gut wie vollständig fehlt."
Szylarski, Solowjew und Dostojewskij
"Die historische Wirklichkeit ist dem Schema Dostojewskijs vollkommen entgegengesetzt: die Idee der universalen geistigen Vereinigung der Menschheit in Christo hat nur in der westlichen Hälfte des Christentums, im Katholizismus existiert, . . . während sich die östliche Orthodoxie von dieser Ideenicht einmal hat träumen lassen."
Ebenda
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RE: Dostojewski
in Die schöne Welt der Bücher 22.10.2012 19:05von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Zitat von Jatman1 im Beitrag #427
Fällt mir gerade ein: Was ist eigentlich mit Onasch?! Hast Du schon was bekommen oder war es für Dich enttäuschend?
Gutes Timing. Das erste Buch "Dostojewski als Verführer" ist heute mit der Post gekommen. Werde gleich einmal hineinlesen und dann auch weiteres dazu sagen können.
(Bücher, die von Deutschland nach Griechenland geschickt werden, dauern immer zwischen 10 bis 20 Tagen, aber ich bin ein geduldiger Mensch. )
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RE: Dostojewski
in Die schöne Welt der Bücher 22.10.2012 19:10von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Du zitierst auf deiner Seite bei Pobedonoszew:
Zitat von Dostojewskiseite - Jatman
...Er war Dostojewskis Freund, zugleich sein Beobachter und eine Art Vorzensor, mit dem er auch in fragwürdiger Freundschaft korrespondierte.
Inwiefern "fragwürdig"?
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Pobedonoszew war der "Zarenflüsterer", faktisch der erster Vertreter des Zaren und Chefideologe.
Ich finde es fragwürdig, wenn man mit dem, der deine Arbeit zensiert, gemütlich Tee trinkt und ihn dann noch seinen Freund schimpft.
So eine "Freundschaft" ist würdig einige Fragen gestellt zu bekommen. Meinst Du nicht?!
Noch besser: In Frage gestellt zu werden.
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Wenn ich es richtig mitbekommen habe, hat Dostojewski seinen Protagonisten sehr oft / nicht selten / immer mit Namen versehen, die ein Wink mit dem Zaunpfahl gewesen sind. Als Beispiel: Raskonikow, wohl so in etwa der Gespaltene oder ähnlich. Die Nummer hat er wohl recht oft gebracht. Da bin ich echt froh, dass man das als Deutschsprachiger nicht mitbekommt. Ich finde das ziehmlich infantil. So´n Kinderkram steht in ziehmlichem Kontrast zu seiner sonstigen "Schwere".
Ebenso ein Vorteil: Er soll wohl Diminutive, also Verniedlichungsformen inflationär gehandhabt haben. Die musste man ihm wohl massenweise rausstreichen bzw. vermindern. Das geht an einem als deutschem Leser, glücklicher Weise ebenso vorbei.
Insofern sind die Geier-Übersetzungen wohl die logische Fortsetzung von Zurechtstutzungen. Mir geht es aber zu weit.
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RE: Dostojewski
in Die schöne Welt der Bücher 23.10.2012 12:13von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Zitat von Jatman1 im Beitrag #433
Ebenso ein Vorteil: Er soll wohl Diminutive, also Verniedlichungsformen inflationär gehandhabt haben. Die musste man ihm wohl massenweise rausstreichen bzw. vermindern. Das geht an einem als deutschem Leser, glücklicher Weise ebenso vorbei.
Nicht unbedingt. Mir sind die Diminutive sogar sehr stark aufgefallen. Wenn man dann noch bedenkt, dass sie massenhaft hinausgestrichen wurden... o wai.
Zitat von Jatman
Pobedonoszew war der "Zarenflüsterer", faktisch der erster Vertreter des Zaren und Chefideologe.
Ich finde es fragwürdig, wenn man mit dem, der deine Arbeit zensiert, gemütlich Tee trinkt und ihn dann noch seinen Freund schimpft.
So eine "Freundschaft" ist würdig einige Fragen gestellt zu bekommen. Meinst Du nicht?!
Noch besser: In Frage gestellt zu werden.
Dostojewski hat sich ja anscheinend immer von Menschen angeregt gefühlt, die in Persönlichkeit und Ansicht genau die Gegenmeinung vertraten als er selbst. Darin fühlte er sich intellektuell herausgefordert, um dann seine Monologe oder "inneren Dialoge" zu starten und Meinung und Meinung in Figuren einander gegenüberzustellen.
Wäre Belinskij nicht gewesen, wäre, so Onasch, Dostojewski nie so tiefsinnig geworden. Im Grunde gründet also seine geistige Auseinandersetzung auch in geistiger Eitelkeit.
Und dann überlege ich weiter: vielleicht war es mit Probedonoszew ähnlich und er fühlte sich durch den Zensor herausgefordert oder er wusste sich einfach machtlos gegen die Bedingungen, die der Zar festgelegt hatte, und sah nicht ein, dem Zensor, ein "Sklave der Zeit und Bedingungen" gegenüber unhöflich zu werden. Die Zensur war ja eine Gewohnheit und damals noch nicht so streng, wie später. Vielleicht erhoffte sich Dostojewski auch größere Freiheiten, wenn er mit Probedonoszew korrespondierte.
Zu Onasch.
Seine Schrift gefällt mir ganz ausgezeichnet. Die Auseinandersetzung Onaschs mit Dostojewskis „Doppelgänger“ war grandios. Selten habe ich etwas so Treffendes gelesen, wie Onasch sich diesem Werk zuwendet, und ebenso selten bin ich auf jemanden getroffen, der die gleiche Begeisterung für genau dieses Werk teilt. Schön auch der Verweis, dass Dostojewski den „inneren Dialog“ geprägt hat (nicht zu verwechseln mit dem „inneren Monolog“) und damit fruchtbaren Grund für den modernen Roman schuf.
Um nur einen Gedanken zu zitieren. Seine Figuren ...
"... sitzen da und führen ihre Gespräche völlig abgeschlossen von der Menschheit. Zugleich aber sind ihre Streitdialoge für die Menschheit von entscheidender Bedeutung ..."
... was wiederum daraus resultiert, weil die Dichtung sich Mitteln bedient, die etwas sinnlich Erfahrbares durch den Menschen demonstriert. Darum erreichen beispielsweise Dostojewskis Werke sowohl Atheisten als auch Gläubige, weil beide sich in ihren Überzeugungen bestätigt fühlen. Und da Dostojewski seine Überzeugungen und Zweifel nicht festlegt oder in eine Richtung drängt, also "weniger schaubar macht", als vielmehr den Leser dazu bringt, ihn sich "durch gedankliche Meditation unmittelbar am Text zu erschließen", ist das dann eben auch kein Wunder. Das gefällt mir mitunter an seinem Werk am besten. Das er etliche Blickwinkel aufzeigt, in vielen Stimmen Für- und Gegensprecher ist, ohne am Ende irgendetwas aufzulösen.
Onasch spricht davon, dass das Urchristentum auch in der russischen Orthodoxie verloren ging und das, was von der russischen Orthodoxie übrig ist, ist ebenso einer Weiterentwicklung und Wandlung unterlegen, wie z. B. die Messe der katholischen Kirche. Daher ist Dostojewskis Urchristentum und die Mystik, die Menschen in seine Romane gedeutet haben, gar nicht in dieser Auswirkung vorhanden. Für mich persönlich, stimmt das nicht ganz. Natürlich spielt Dostojewski mehr mit der Idee, so dass seine Figuren von Christus zu einem Sozialrevolutionären oder Attentäter mutieren können. Ich teile aber nicht Thomas Manns Ansicht, Dostojewski hätte sich nicht dennoch ernsthaft mit diesen Sachen auseinandergesetzt und Wahrheits-Erlebnisse nur als Spielreiz genutzt. Wenn er in Wahrheitserlebnissen einen Reiz entdeckte, mit der Idee zu spielen, bedeutet es nicht, dass er den Kern nicht erfasst oder sich nicht tief genug in die Materie hineingedacht hat.
Einen Roman zu schreiben, bedeutet, Figuren, Welten, Bedingungen zu erschaffen. Das ist durchaus vergleichbar mit dem von Onasch angeführten Beispiel von Pygmalion und Galathea. Die Deutungen in Dostojewskis Werk sind, das kann ich mir auch gut vorstellen, in vielerlei Hinsicht übertrieben oder in Schubladen geschoben worden, aber der Roman steht dennoch für das, was er vermittelt und eben auch für das, was er ist.
Und warum sollten religiöse Stilformen nicht verweltlicht oder vermenschlicht werden, wie Dostojewski es tat? Dies zu verurteilen bliebe doch nur Menschen übrig, die fanatisch einen Glauben, eine Religion und eine ihnen damit wichtige Reinheit verteidigen, die unter Menschen nun einmal nicht so „heilig“ existiert. Sie lehnen alles ab, was ihr Reines und Höheres hinabziehen könnte, verkennen aber, dass es nur dort "unten" erst zur Geltung und Umsetzung kommt. Wenn Dostojewski sich religiösen Voraussetzungen bedient, um seine Gedanken zu vertiefen oder sie durch seine Figuren in Frage zu stellen, greift er damit nicht jenes Heilige an, das dem Fanatiker unantastbar ist. Er zieht es nur hinzu und versucht, es von allen Seiten zu betrachten, was der streng Gläubige nicht zulässt, da er seinen heiligen Glauben dadurch gefährdet und besudelt sieht. Ähnliches hat Caravaggio in seiner Kunst gemacht. Seine Heilige waren Menschen.
Und man sollte ja auch nicht vergessen: Dostojewski hat keinen tieferen Essay über das Urchristentum verfasst, sondern seine Gedanken und Überlegungen zu Ideen verarbeitet und in den Handlungsrahmen seiner Romane verfrachtet. Dennoch ist unbestreitbar, dass seine Figuren alle Blickwinkel und Perspektiven einnehmen, sowohl die gläubigen als kritischen Seiten, manchmal auch, und da ist Dostojewski eben ein großer Psychologe, in einer einzigen Figur angehäuft, als eine Entwicklung oder Veränderung in Einstellung und Glaube.
Art & Vibration
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Diminutive > nunja der schnelle oberflächliche Jatman-Read
„er mit Probedonoszew korrespondierte“
D. korrespondierte ja nicht nur, sondern er besuchte ihn in der Regel wöchentlich.
„er fühlte sich durch den Zensor herausgefordert“
Fühlte er vermutlich nicht. Die Beiden einte ihre verschärfte panslawische Ausprägung, die ja selbst rechte Slawisten noch für reaktionär hielten.
„die in Persönlichkeit und Ansicht genau die Gegenmeinung vertraten als er selbst. Darin fühlte er sich intellektuell herausgefordert“
Die hatten keine großen gegenteiligen Meinungen, auch nicht was die Kirche betraf – sie hatte fester Bestandteil des Staatsapparates zu sein. Was sie anzog waren gemeinsame, besonders spezielle Ansichten.
Selbst Solowjew, hat das erkannt und war oft anderer Meinung. Solowjew hat Probedonoszew nicht über den Weg getraut. Zurecht, wie sich nach dem Zarenattentat zeigte. Probedonoszew wurde ein extrem scharfer Hund. Probedonoszew hat übrigens auch bis zu seinem Tode überwachen lassen.
Da haben wir sie wieder Dostojewskis Widersprüche. Im Leben so wie in seinen Büchern.
„Die Zensur war ja eine Gewohnheit und damals noch nicht so streng, wie später“
Das scheint zu stimmen. Man kann sich das vermutlich nicht richtig vorstellen.
„Wäre Belinskij nicht gewesen, wäre, so Onasch, Dostojewski nie so tiefsinnig geworden.“
Da würde ich auch voll mitgehen. Dieses faktische Pendant zu Dostojewski hat ihn ja erst mal lebendig werden lassen und aus seiner romantischen Ecke herausgeholt – so dass er Belinski auf ewig sauer war.
„Seine Heiligen waren Menschen.“
Ich würde entgegnen, seine Menschen waren ausschließlich Ideen.
"mir mitunter an seinem Werk am besten. Das er etliche Blickwinkel aufzeigt, in vielen Stimmen Für- und Gegensprecher ist, ohne am Ende irgendetwas aufzulösen."
Nicht nur am besten, sondern, dass ist DER Punkt. Vieles andere mag auch besonders sein. DAS ist aber der Unterschied und DER Grund weshalb er heute noch gelesen, gezeichnet und verfilmt wird. DAS hält ihn lebendig - bis heute. Und er bedient eben jeden, weil er Ideen hat sprechen lassen. Ohne Ergebnis. Die Ergebnisse, sehe ich wie Du, werden heute mit viel intellktuellem Aufwand ihm hinterhergeschmissen. So jedenfalls meine ich.
Da bin ich übrigens beruhigt, dass ich Dich mit Onasch nicht auf eine falsche Fährte gelockt habe. Schön.
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