HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Bachtin IV
Das Dritte Kapitel. „Die Idee bei Dostojewski“
Klingt schlicht und lesenswert. Lesenswert wird es sein. Schlicht hingegen gar nicht. Auf der Strecke bleibt mein Interesse.
Oh Oh. Ich bin stecken geblieben. Die Zeit und der Text wurden zähflüssig und ich musste mich wie durch knöcheltiefen Morast kämpfen. Ich habe den rettenden Steg gefunden und nutze ihn. Ich gehe einfach weit mehr als die Hälfte über dieses Kapitel hinweg und hebe es mir auf – für späääter.
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Und weiter ziehe ich einsam meiner Wege . . .
Bachtin V
Nachdem ich mich vor dem dritten Kapitel retten konnte, sehe ich dem nächsten Kapitel festen Willens entgegen, auch wenn es mich schon durch seinen Namen leicht erschaudern lässt:
Das Vierte Kapitel: „Besonderheiten der Gattung und der Sujetkomposition der Werke Dostojewskis“
Also mit diesem Buch ringe ich ziemlich heftig. Woran wird es liegen? Ich ahne es:
Es ist anregend und zugleich langatmig, es ist ein Standardwerk der Literaturforschung in Sachen Dostoevskij und es gab es nicht umsonst. Da fühle ich mich beschämenswerter Weise irgendwie verpflichtet auszuhalten. Ist nur die Frage – bis zum Ende??
Also geblättert.
Ergebnis: Ich gönne mir Bachtins Ausführungen über die Karnevalisierung der Literatur. Das Thema ist mir völlig neu. Da sollte die Kraft zu reichen . . .
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Bachtin VI
Ja. Auch unabhängig von Dostojewski ist dieser Abschnitt sehr interessant. Da musste ich mich nicht durchquälen. Da es ja hauptsächlich um Dostojewski gehen soll, musste sich Herr Bachtin ja für seine Verhältnisse relativ kurz fassen. Das hat dem Text sehr gut getan. Sicherlich bewegt er sich nicht im Profanen. Verständlichkeit und Straffheit war es jedenfalls dienlich. Dann jedoch speziell wieder bei Dostojewski angekommen, entdeckt er variantenreich das Detail, das er wie ein Steak auf dem Grill mehrfach wendet.
Als erstes nimmt er sich Bobok vor. Wie ich nun weiß, ein geradezu exemplarisches Beispiel für eine sehr starke Karnevalisierung des Textes. Wer Bobok kennt und die karnevalistische Einführung genossen hat, versteht sofort. Ein abschließendes Beispiel täte gut. Aber nein, da tritt er wieder zu -der Breittreter.
Nur zu dumm, dass Bachtin in seiner Breite immer wieder interessante und neue Gedanken aufblitzen lässt, sodass ich mich mal wieder durchgekämpft habe. War aber nicht so schwer und öde wie im dritten Kapitel. Dachte ich. Die Arbeit am Werke weitete sich aus.
Gegenstand aller Betrachtungen: die Menippee, die Menippee und nochmals die Menippee.
Das ist was für Freaks oder eben für Wissenschaftler.
Im Moment bin ich mir nicht sicher, ob ich doch das Handtuch werfe. In Erwägung ziehe ich`s.
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Bachtin VII
Die Karnevalisierung schritt voran. Ich konnte und wollte auch nicht mehr Schritt halten.
Das nächste Kapitel lautet: „Das Wort bei Dostojewski“
Das letzte hundertseitige Kapitel hebe ich mir auf. Soll man doch mit guten Sachen so machen. Es kommt bei mir nicht in den Weinkeller, aber in die Regale der Dostojewski-Sekundärliteratur – um es nach vielen Jahren, wenn ich es dann zu schätzen weiß, genusshaft zu goutieren.
Wer es auf höchstem und dezidiertestem Niveau braucht, der ist hier gut aufgehoben. Das steht fest. Wer nicht, der brauch`s nicht.
Gerigk müsste es mal auf populär umschreiben / eindampfen. Das wären vermutlich 30 faszinierende Seiten.
E N D E
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Dostojewski hat ja so seine Längen - in jeder Hinsicht.
Ich werde mir nun einmal eine gekürzte Fassung antun. Die Besessenen. Bescheidene 131 Seiten.
Das ist nicht möglich, höre ich. Mal sehn. Es ist das Drehbuch für das Schauspiel.
Geschrieben hat es zudem ein Unverdächtiger in Sachen Ernsthaftigkeit und Tiefe. Es ist Albert Camus. Der sollte das doch dürfen ;-)
Ich geb`dann mal demnächst Zeichen.
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Camus - Die Besessenen
Es ist ein flüssig gehaltenes Exzerpt des Romans. Ich musste hingegen feststellen, dass mir dies nun auch wieder nicht recht ist. Es bleiben im Wesentlichen die philosophischen Kernpunkte übrig. Das wirkt irgendwie kahl und etwas zu augenscheinlich.
Als Bühnenstück jedoch gut vorstellbar. Es ist das Gegenteil von Inszenierungen Castorfs.
In seiner Klarheit etwas an Tschechow erinnernd.
Auf welchen Pfaden ich Dostojewski auch an mich heranlasse – er erreicht mich nicht. Hat er dies jemals. Eigentlich schwer vorstellbar.Wie konnte ich aber dann alles von ihm lesen?! Ich bin mir ein Rätsel.
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RE: Dostojewski 2
in Die schöne Welt der Bücher 03.04.2013 22:30von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Camus war schwer von Dostojewski begeistert. Sein Bühnenstück kam, glaube ich, gar nicht so gut an oder wurde nicht einmal aufgeführt? Das Gedächtnis ist löchrig, aber ich könnte die Tage mal nachsehen ...
(Wird nachgeholt.)
Art & Vibration
RE: Dostojewski 2
in Die schöne Welt der Bücher 04.04.2013 22:07von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
O.k. Habe kurz nachgeblättert ... (werde dir aber auch gerne noch einmal ausführlicher antworten, wenn ich mehr Zeit habe). Camus wollte mehrere Stücke Dostojewskis aufführen. "Die Besessenen" jedenfalls wurden aufgeführt, allerdings mit geteilter Kritik, darunter sagte z. B. der Kritiker Pierre Marcabru, Dostojewski sei bei Camus' Version dann mehr oder weniger auf der Strecke geblieben. Camus' Stück wurde zu einer Zeit gespielt, wo es direkt zwischen die Fronten des Kalten Krieges geriet. Damit wurde es stark unter die "politische Lupe" genommen. Camus hat das nicht sehr geschätzt.
Art & Vibration
thanx vor se info.
Wer immer Pierre Marcabru ist. Seine Meinung ist für mich nicht nachvollziehbar. Kann aber eben tatsächlich der kalte Krieg für verantwortlich gewesen sein. Jede Seite wird auf "ihre" Dostojewski-Auslegung fokussiert gewesen sein.
"Camus hat das nicht sehr geschätzt."
Geradezu ein Lehrbeispiel für euphemistische Sprachbilder.
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RE: Dostojewski 2
in Die schöne Welt der Bücher 13.04.2013 20:32von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
In Etkinds Buch "Eros des Unmöglichen", über die Entwicklung der Psychoanalyse in Russland, fand ich einige Gedanken zu Rosanow und die Suslowa. Ich finde, es lohnt, das zu zitieren:
"Bei Rosanow zieht es das Geschlecht schlicht und herkömmlich zur Familie. Dabei war gerade die Familie für ihn persönlich ein Problem. Nachdem er nämlich einmal Dostojewskis Geliebte geheiratet und sich - wie sein Vorgänger - genug mit ihr geplagt hatte, konnte er mit einer anderen Frau, mit der er schon viele Jahre glücklich lebte, nicht mehr vor den Altar treten."
Art & Vibration
Ein Zitat aus einem außergewöhnlichen Aufsatz, der mal ein bisschen die altruistischen Nebelschwaden beiseite schiebt, was Dostojewskis Aufzeichnungen aus einem Totenhaus anbelangt.
"Die Arrestanten waren die reinsten Kinder von Andrea Zink In: Dostoevsky Studies Bd. 9
"Dostojewski spricht für sich selbst, daneben aber für eine gesellschaftliche Elite, die sich durch das Volk vor dem Volk rettet."
Sie spricht mir aus der Seele.
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RE: Dostojewski 2
in Die schöne Welt der Bücher 26.05.2013 22:14von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Ach ja, ich genieße Gerigks "Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller". Eine wirklich wunderbare Zusammenfassung seiner Romane. Man hätte es nicht besser sagen können, dass alle Romane samt Thematik in Sibirien geboren wurden, wie dort auch der Schriftsteller Dostojewski neu geboren wurde. "Im Durchgang durch das Tote Haus findet Dostojewskij zum Menschenbild seiner großen Romane." (Gerigk) Und das hier, das ist der Brüller und trifft es wohl auf den Punkt. Gerigk zitiert Somerset Maugham:
Zitat
Somerset Maugham hat in seinem Tagebuch von 1917 die für Dostojewskij typische Atmosphäre treffend zusammengefasst:
„Ich wünschte, jemand würde Dostojewskijs Technik analysieren. Ich habe den Eindruck, dass seine Wirkung vor allem auf seiner eigenartigen Methode beruht, obwohl die Leser dies nicht bemerken. Manche sagen, dass seine Erzähltechnik unbedeutend sei, aber dieses Urteil trifft nicht zu, er ist zweifellos ein vorzüglicher Erzähler und wendet bestimmte Kunstgriffe mit großem Geschick an. Einer seiner Lieblingstricks, den er ständig anwendet, besteht darin, dass er die Hauptfiguren seiner Geschichte zusammenbringt und sie über ein Geschehnis so erregt diskutieren lässt, dass man nichts versteht […]. Diese langen Gespräche sind von einer atemberaubenden Spannung, und er steigert diesen Reiz durch eine ingeniöse List: Die Erregtheit seiner Charaktere steht im Missverhältnis zu dem, was sie sagen; er zeigt sie uns zitternd vor Aufregung, grün im Gesicht oder bleich vor Angst, von Entsetzen gelähmt, so dass die gewöhnlichsten Worte eine dem Leser unbegreifliche Bedeutung annehmen; und unversehens gerät der Leser derart in den Bann dieser extravaganten Gesten, dass seine Nerven bis zum Zerreißen gespannt sind und er so weit ist, einen echten Schock zu erleiden, wenn etwas passiert, was ansonsten kaum sein Gemüt bewegt hätte. (…)“
Art & Vibration
Irgendwann ging es hier mal darum, dass D. seine konträren Protagonisten ihr „Für“ und „Gegen“ einfach laufen lassen ließ, sodass sich der Leser sein eigenes Bild mache und seine persönlichen Schlüsse ziehe. Ich entgegnete, dass D. das so sicherlich nicht unbedingt wollte, sondern auf Umwegen „missionieren“ wolle.
Nun bin ich auf eine Textstelle gestoßen, die es meines Erachtens (den vorherigen Text resümierend zusammenfassend) auf den Punkt bringt:
„Versucht man aufgrund dieser Ausführung ein Fazit zu ziehen, so kann man zusammenfassend feststellen, dass die polyphone Struktur der Texte Dostojewskijs, von der Bachtin spricht, zwar die Oberflächenschicht des Textes bestimmt, die Stimme des Autors aber nichts desto weniger vermittelst rezeptionssteuernder Verfahren immer wieder in den Text eingreift.
Man könnte unter Verwendung der hier entwickelten methodischen Ansätze auch sagen, dass die Polyphonie nur auf der Ebene des textimmanenten Personenbildes wirksam ist. Dieses jedoch wird vom metatextlichen Personenbild, dessen Ort sich außerhalb des Textes befindet, auf das aber im Text mittels rezeptionssteuernder Verfahren hingewiesen wird, modifiziert, wodurch die Stimme des Autors doch wiederum, wenn auch nur indirekt, organisierend und hierarchisierend in Text und Personengefüge eingreift und so die Rezeption des Textes durch den Leser im Sinne der Intention des Autors steuert.“
Rudolf Neuhäuser, „Dostojewskij Leben Werk Wirkung“
Übrigens.
Der Kampf durch und mit Bachtins Buch, ist hier ja dokumentiert.
Inzwischen darf ich feststellen, dass es sich gelohnt hat. Viele Texte danach waren dadurch aufschlussreicher. „Ja wie soll es auch anders sein.“ Spricht da der ganz Schlaue. Für mich jedenfalls war, gab es so zum Beispiel ein Aha-Erlebnis: Nachdem ich Bachtins Ausführungen in Sachen Karnevalisierung in Bezug auf D.s Texte gelesen hatte, durfte ich dann eine gegenteilige Sezierung dieser Einschätzung lesen (Otto, Anja; Der Skandal in Dostoevskijs Poetik). Äußerst belebend!
Hier taucht auch wieder mal mein eigentliches Interesse an Dostojewski auf, dass eben kein tatsächliches an Dostojewski ist. Ich liebe die Auseinandersetzungen in der Sekundärliteratur, denn sie sind so facettenreich, weltfremd, doktrinär und widersprüchlich, wie Dostojewski eben selbst.
Für sein Werk wollte ich das bald schon nicht mehr gelten lassen . . .
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